Samstag, 10. Dezember 2011


In diesem Blog wurden vom 25. November bis heute, 10. Dezember engagierte Frauen aus Bern porträtiert, die sich beruflich oder ehrenamtlich für Frauen einsetzen, die sexuelle Gewalt erlitten haben. Wir möchten an dieser Stelle den beteiligten Frauen für ihren Beitrag und das dahinterstehende Engagement danken! Das Ende der diesjährigen Kampagne ist nicht gleichzeitig das Ende unseres Blogs. Er ist eine Plattform, auf der viele spannende Beiträge zusammengekommen sind. Diese bleiben auch weiterhin einsehbar, und wir werden diese Plattform auch für zukünftige Aktionen nutzen. Zum Abschluss haben wir Christine Sieber um ein Fazit gebeten. 

Jenny Lütjens
Sandra Schertenleib
Bern, den 10.12.2011


„Das Vertrauen ist schneller verchachelt als wieder hergestellt" 

Nach dem Lesen dieser Portraits kommt eine angenehme Ruhe auf. Eine Ruhe, die aus der Gewissheit kommt: Frauen, die Gewalt, auch sexuelle Gewalt erfahren haben, werden im Kanton Bern mit Respekt und Sorgfalt behandelt. Sei es durch Therapeutinnen, Anwältinnen oder Ärztinnen, sei es seitens der Polizei, Rechtsmedizin oder Staatsanwaltschaft. Begriffe wie „Selbstbestimmung unterstützen“, „Ressourcen stärken“, „Zusammenarbeit optimieren“, „Sicherheit vermitteln“, „Vertrauen aufbauen“ scheinen für alle diese Frauen ein Grundlage ihres Engagements zu sein. „Menschlichkeit“ wird „vor Juristisches und Formelles“ gestellt. Als Vorbild wurden die Pionierinnen des Berner Modells angeführt mit ihrer Hartnäckigkeit, die sie in den Anfangszeiten an den Tag legen mussten, aber auch die Frauen auf der ganzen Welt, welche mit ihrem Einsatz gegen Gewalt grosse persönliche Risiken auf sich nehmen. Durchwegs setzen sich die interviewten Frauen dafür ein, gewaltbetroffenen Frauen eine sorgfältige, von Respekt und Professionalität geprägte Unterstützung zu ermöglichen. 
Zum Abschluss des Blogs „Spuren starker Frauen“ habe ich aus den Portraits dieser 13 Frauen ein paar Aussagen heraus gepickt. Jeder Schritt, der getan wird, hinterlässt eine Spur. Auf dass noch viele weitere Schritte auf dem Weg zu einer gerechten Welt geschehen!

„In diese erste Zeit fiel auch die Entwicklung des sogenannten ‚Berner Modells‘, einer interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Beratungsstelle, Familienplanungsstelle, Institut für Rechtsmedizin und Polizei. Diese zu etablieren, war nicht einfach, zumal sich die Interessen der Deliktverfolgung und diejenigen der Betroffenen in einigen Punkten widersprachen und die Beratungsstelle als feministisches Projekt unter dem Verdacht stand, Anzeigen eher zu verhindern als zu fördern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es den VertreterInnen der beteiligten Institutionen jedoch, das gegenseitige Vertrauen durch konkrete Erfahrungen der Zusammenarbeit und regelmässige Austauschtreffen zu stärken und das Berner Modell als gemeinsames Angebot für Betroffene in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.“ (Pia Thormann, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, frühere Mitarbeiterin von Lantana)

„Sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen war in früheren Zeiten stark geprägt von männlicher Wahrnehmung und Wertung. Dies war bei Polizei und Justiz nicht anders. Die bei betroffenen Frauen und Mädchen häufig vorhandenen Schuldgefühle wurden nicht selten verstärkt mit unsensiblen Fragestellungen. (...)“ (Irene Pellet, Polizeibeamtin)

„Es muss dafür gesorgt werden, dass das bisher Erreichte konsolidiert und weiter entwickelt wird, auch wenn sich in den verschiedenen Institutionen personelle Wechsel ergeben. Wissen und Erfahrung dürfen nicht mit den Frauen der ersten Generation des Berner Modells in Pension gehen.“ (Beatrice Ritter, früher Untersuchungsrichterin, heute Staatsanwältin)

„Was unsere Arbeit anbelangt, nämlich die Beratung von Opfern häuslicher Gewalt, gibt es noch Verbesserungspotential bei den Angeboten für Täter. In einigen Fällen wären wir froh, wenn Männer offensiver angesprochen würden und wir mit einer Partnerorganisation zusammenarbeiten könnten, die in Kontakt mit dem Täter steht.“ (Sabine Sequin, Psychologin, Frauenhaus Bern)

„Aktuell arbeiten wir daran, die Untersuchung von Tatverdächtigen zu optimieren und die Ergebnisse infektiologischer Untersuchungen (zum Beispiel auf HIV) den die Frau behandelnden Ärzten zukommen zu lassen. Dies ist wichtig, damit betroffene Frauen bei negativem Ergebnis nicht unnötig lange eine medikamentöse Prophylaxe gegen HIV einnehmen müssen, da diese starke Nebenwirkungen hat und somit sehr belastend sein kann.“ (Corinna Schön, Oberärztin, Institut für Rechtsmedizin IRM)

„In der Lehre, gerade vor Juristen, legte ich Wert auf den Begriff der Einvernehmlichkeit. Es gilt zu überprüfen, ob ein ‚Ja‘ eines Mädchens, einer Frau wirklich einvernehmlich war oder unter Druck oder Drogen und Alkoholeinfluss zustande kam. Gerade im Zusammenhang mit sogenannten ‚Gang Bang‘-Vorfällen wurde mir das wichtig. Auch heute fällt mir immer wieder auf, dass sich viele Jugendliche selbst immer noch nicht bewusst sind, wo die Grenzen einvernehmlicher sexueller Handlungen sind.“ (Ursula Klopfstein, Fachärztin für Rechtsmedizin und Schulärztin)

„Eine wichtige Hilfe war es zum Beispiel, dem Opfer (von häuslicher Gewalt) eine Visitenkarte mitzugeben und die Möglichkeit aufzuzeigen, Dinge, die mündlich nicht gesagt werden konnten, in einem Brief abzufassen und nachzureichen.(...) Das Vertrauen ist schneller verchachelt als wieder hergestellt. (Christine Kobel, Polizeibeamtin, heute im Ruhestand)

„Die Menschen ändern sich ja nicht so schnell. Es wird noch sehr lange entscheidend sein, dran zu bleiben am Gewaltproblem. Und zwar auf jeder Ebene. Gewalt und Missbrauch können auf sehr leisen Sohlen spazieren.“ – „Die Unterdrückung von Frauen machte mich wütend, verletzte mein Gerechtigkeitsgefühl. Ich fühlte mich verbunden mit den anderen Frauen (...) und wenn ihnen Unrecht geschah, fühlte ich mich auch betroffen.“ (Marianne Hammer, Anwältin)

„Da sind zum Bespiel auch die vielen mutigen Frauen, die sich irgendwo in dieser Welt, trotz aussichtsloser, widrigster Umstände, trotz persönlicher Bedrohungen und oft beträchtlichem, persönlichem Risiko weiterhin laut und tatkräftig und fantasievoll gegen Gewalt und für ihr Recht auf sexuelle Gesundheit einsetzen.“ (Christa Spycher, Ärztin für psychosoziale Medizin, heute im Ruhestand)

„Mich bewegt es zu sehen, wie die Betroffenen durch eine solches Ereignis „einfach so“ den Boden unter den Füssen weggezogen bekommen. Ebenso die gelegentliche Unterschätzung der Auswirkung eines solchen Erlebnisses durch z.B. Arbeitgeber, Bekanntenkreis, Familie, Partner.“ (Cornelia Englmann, Fachärztin für Gynäkologie, Zentrum für Familienplanung Bern)

„Ich denke, dass die Verletzung der sexuellen Integrität eine der traumatischsten Erfahrungen ist, die einem Menschen widerfahren kann. Es ist mir ein grosses Anliegen, weibliche Betroffene bei der Bewältigung dieses Traumas zu unterstützen.“ (Ursula Stalder, Sozialarbeiterin und Systemtherapeutin, Lantana)

„Eine Vergewaltigung kann zu massiven Spätfolgen führen und das Leben in grossem Masse beeinträchtigen. Aus diesem Grund habe ich Zusatzausbildungen absolviert um das nötige Rüstzeug zu bekommen, solche Spätfolgen besser therapieren zu können.“ (Eelke Schmutz, Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie, heute im Ruhestand)

„In der Psychotherapie helfe ich sexuell traumatisierten Frauen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, Ängste abzubauen, wieder eine liebevolle Beziehung zu ihrem eigenen Körper zu entwickeln, sich abzugrenzen und eigene Interessen durchzusetzen.“ (Muriel Kämpfen, Psychologin/Psychotherapeutin)











Christine SIeber ist Beraterin und Sexualpädagogin in unserem Zentrum für Familienplanung.

Freitag, 9. Dezember 2011



Cornelia Englmann ist Fachärztin für Gynäkologie und arbeitet seit 2007 im Zentrum für Familienplanung, Verhütung und Schwangerschaftskonfliktberatung. In diesem Rahmen untersucht sie jährlich rund 30 Frauen nach sexueller Gewalt. 

Wofür setzen Sie sich ein?
Neben der direkten Betreuung von Opfern nach sexuellen Übergriffen ist es unsere Aufgabe, Abläufe ständig zu optimieren. Dazu gehört auch, das Berner Modell als Anlaufstelle nicht nur bei Ärzten und Ärztinnen bekannt zu machen, sondern auch bei Einrichtungen und in der Bevölkerung. Dieses kann durch Beteiligung an Kampagnen, wie es z.B. bei den Kampagnen 16 Tage gegen Gewalt in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist, sowie durch Vorträge, Flyer  und in der Arbeit mit Jugendlichen geschehen. In meinen Augen sollte für eine Betroffene die Schwelle, sich untersuchen zu lassen, so tief wie möglich sein, auch um Infektionen zu verhindern und körperliche Beschwerden zu lindern. Eine Untersuchung, der keine polizeiliche Anzeige vorausgehen muss, ist daher sehr wichtig. Um aber keine Zeit zu verlieren, ist eine gleichzeitige Spurensicherung für eine etwaige spätere Anzeige ein ideales Modell. Im Weiteren unterstütze ich die Idee, dass die  Betreuung und Untersuchung durch Frauen erfolgt.

Was bewegt Sie in Ihrer Arbeit?
Es bewegt mich, zu sehen, wie die Betroffenen durch eine solches Ereignis „einfach so“ den Boden unter den Füssen weggezogen bekommen. Ebenso die gelegentliche Unterschätzung der Auswirkung eines solchen Erlebnisses durch z.B. Arbeitgeber, Bekanntenkreis, Familie, Partner. 

Was sind wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Seit einigen Jahren gibt es eine enge Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen mit regelmässigem jährlichen Austausch im grossen Rahmen sowie im kleinen Rahmen mit einzelnen Institutionen alle zwei Monate oder nach Bedarf. Da sich die Ansprechpartner kennen, können Probleme auf dem kurzen Weg besprochen werden. Weiter konnte die Organisation rund um die Betreuung der Betroffenen verbessert und vereinfacht werden.

Was sind wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Das Modell muss stetig verbessert und angepasst werden. Schön wäre es, wenn man für psychiatrische Notfallsituationen Kollegen oder Kolleginnen aus der Psychiatrie für unser Projekt gewinnen könnte und dort Ansprechpartner für Fragen hätte. Sicherlich gibt es auch von Seiten der Strafverfolgung zur Untersuchung der Täter auf Erkrankungen, besonders im Hinblick auf die Betroffene, noch Ausbaumöglichkeiten. Hier liessen sich unnötige Therapien wie z.B. die HIV Prophylaxe mit verschiedenen Nebenwirkungen vermeiden. Ferner sähe ich in der vermehrten Aufklärung über Verlauf und Möglichkeiten bei einer Anzeige vor einer Anzeigeerstattung, Verbesserungspotential. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Als Vorbild gelten für mich all die Personen, die dieses Berner Modell ins Leben gerufen haben. Es war sicher nicht einfach, alle zu diesem Projekt zu begeistern und bestehende Meinungen und Vorgehensweisen zu verändern, vor allem die Möglichkeit zu schaffen, eine Untersuchung und Spurensicherung anzubieten ohne eine Anzeige vorher machen zu müssen. Dieses ist sicher auch dem Institut für Rechtsmedizin Bern zu verdanken. Des weiteren sind die Menschen ein Vorbild, die sich in anderen Ländern trotz Bedrohung ihres Lebens und das ihrer Familie für die Rechte und Betreuung von Vergewaltigungsopfern einsetzen. 

Donnerstag, 8. Dezember 2011


Beatrice Ritter ist seit 2011 eine der 24 Staatsanwätinnen und Staatsanwälte der Region Bern-Mittelland. Sie begann ihre Tätigkeit in der bernischen Justiz vor fast 15 Jahren, damals als Untersuchungsrichterin. In ihrer Funktion als Staatsanwältin ist sie unter vielem mehr für Verfahren bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Handlungen mit Kindern zuständig.       

Wofür setzen Sie sich ein?
Ich arbeite als Staatsanwältin in der Strafverfolgung, d.h. Strafverfahren wegen Delikten gegen die sexuelle Integrität sind daher nicht ein Engagement, sondern Teil meiner Arbeit. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft beginnt in der Regel mit der Meldung einer strafbaren Handlung durch die Polizei. Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es dann - am Anfang eines Verfahrens in enger Zusammenarbeit mit der Polizei - abzuklären, was passiert ist. In Fällen sexueller Gewalt gehört dazu die Untersuchung des Opfers durch eine Ärztin der Rechtsmedizin, die Spurensicherung am Tatort durch die Spezialisten der Kantonspolizei und die Befragung des Opfers durch die Polizei. Aufgrund dieser ersten Erkenntnisse wird der Tatverdächtige ermittelt, befragt und in gewissen Fällen durch die Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft versetzt. Das Ziel einer strafrechtlichen Untersuchung ist es, abzuklären, ob sich der Anfangsverdacht bestätigt und in diesem Fall am Ende der Untersuchung beim zuständigen Gericht Anklage zu erheben.
Für Befragungen von Opfern sexueller Gewalt nehme ich mir genügend Zeit und informiere sie über den Ablauf des Verfahrens und die Opferhilfe. Ab und zu melde ich eine Frau auch direkt bei Lantana an, damit sie die notwendige Unterstützung erhalten kann. Oft kommen die Frauen aber auch bereits gut beraten und mit einer Anwältin zur Befragung. Mir scheint es auch wichtig, dass die erlebten sexuellen Uebergriffe direkt angesprochen werden. Meine Erfahrungen aus dem Berner Modell und meiner langjährigen Tätigkeit gebe ich auch in der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern weiter.

Was bewegt Sie in Ihrer Arbeit?
Die Folgen, die sexuelle Gewalt bei den Opfern hinterlassen kann.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Die Vernetzung der in der Opferhilfe und Strafverfolgung tätigen Institutionen, z.B. im Rahmen des Berner Modells. Hier werden den Opfern verschiedene Möglichkeiten zur Anzeige bzw. Vornahme der Spurensicherung angeboten. Im weiteren die Einführung des Opferhilfegesetzes und damit eine Verbesserung der Stellung von Opfern im Strafverfahren, in dessen Zentrum die beschuldigte Person steht. Die Rechte der Opfer sind - soweit diese direkt das Strafverfahren betreffen - seit dem 01.01.2011 in der eidgenössischen Strafprozessordnung geregelt. So können Frauen, die Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität wurden, verlangen, dass sie von einer Frau befragt werden, dass eine Gegenüberstellung mit dem Tatverdächtigen vermieden wird oder dass dem urteilenden Gericht mindestens eine Frau angehört. Ebenso dürfen Opfer die Aussagen zu Fragen verweigern, welche die Intimsphäre betreffen.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Es muss dafür gesorgt werden, dass das bisher Erreichte konsolidiert und weiter entwickelt wird, auch wenn sich in den verschiedenen Institutionen personelle Wechsel ergeben. Wissen und Erfahrung dürfen nicht mit den Frauen der ersten Generation des Berner Modells in Pension gehen. Zudem muss neuen Phänomenen sexueller Gewalt, insbesondere unter Jugendlichen, Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Im Rahmen des Berner Modells wird derzeit daran gearbeitet, dass Frauen, die nach  einer Vergewaltigung eine medikamentöse Prophylaxe gegen eine HIV-Infektion einnehmen müssen, diese nur solange einnehmen müssen, bis geklärt ist, ob der Tatverdächtige mit HIV infiziert ist. Dazu müssen verschiedene Abläufe optimiert werden. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Frauen, die sich ausserhalb von Europa in verschiedenen Hilfsprojekten für die Rechte von Frauen einsetzen, sich insbesondere auch für Opfer sexueller Gewalt und Ausbeutung engagieren.

Mittwoch, 7. Dezember 2011


Pia Thormann hat ihr Psychologiestudium in Bern absolviert. Sie machte eine Ausbildung in psychoanalytischer Psychotherapie am Psychoanalytischen Seminar in Bern. Sie arbeitet zu 50% als Fachpsychologin für Psychotherapie FSP in der Beratungsstelle der Berner Hochschulen und hat eine Privatpraxis als Psychotherapeutin.

Sie hatten und haben bei Ihrer Arbeit mit sexueller Gewalt zu tun. Inwiefern?
Ich arbeitete von 1990 bis 2001 als Beraterin im Team der Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen und Mädchen, welche heute Lantana heisst. In den ersten Jahren bauten wir diese Stelle auf. Neben der Beratungsarbeit leisteten wir Öffentlichkeitsarbeit und gaben Weiterbildungen, so z.B. für angehendende Gerichtspersonen. Wir vernetzten uns im Rahmen des Berner Modells mit der Familienplanungsstelle, mit der Polizei, dem Institut für Rechtsmedizin und ausserhalb mit gerichtlichen Behörden, PsychotherapeutInnen und AnwältInnen. Zudem teilten wir Mitarbeiterinnen uns während mehrerer Jahre in die Leitungsaufgaben, vertrat ich die Stelle in der Trägerschaft, an den nationalen Nottelefontreffen und den nationalen Vernetzungstreffen bezüglich sexueller Ausbeutung in Abhängigkeitsbeziehungen. Daneben war ich einige Jahre Mitglied der Kantonalen Frauenkommision und engagierte ich mich auf städtischer und nationaler (Limita) Ebene gegen sexuelle Ausbeutung in der Kindheit. Privat erarbeitete ich 1997 zusammen mit der Theologin Eva Südbeck-Baur im Auftrag des Dekanates Bern Stadt der römisch-katholischen Kirche ein Grundlagenpapier zu sexueller Ausbeutung in der Seelsorge. Ich habe in den 12 Jahren beruflicher Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt viel gelernt, sowohl in beraterisch-psychotherapeutischer Hinsicht, wie auch auf den Gebieten der Weiterbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Organisationsentwicklung. Rückblickend gewann ich zudem den Eindruck, dass die Arbeit mit traumatisierten Menschen einen grossen Einfluss auf die Dynamik unseres Teams hatte. Wir brauchten einander, um diese auf die Dauer tragen und in der Form von Öffentlichkeitsarbeit einen Beitrag gegen sexuelle Gewalt leisten zu können. Wir waren gezwungen, Konflikte zu klären und entwickelten eine entsprechende Teamkultur.          
Im Rahmen meiner heutigen beruflichen Tätigkeiten an der Beratungsstelle der Berner Hochschulen und als Psychotherapeutin in privater Praxis sind Erfahrungen sexueller Gewalt weiterhin ein Thema, allerdings nicht mehr in derselben Ausschliesslichkeit wie früher.  Geblieben ist mir die Funktion als Ansprechperson bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz für Studierende der Berner Hochschulen. 
Die Jahre meiner Berufstätigkeit im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen waren stark vom Aufbau und der Weiterentwicklung der Beratungsstelle geprägt, auf die ich hier kurz eingehen möchte. Ende 1989 wurde die Stelle erstmals subventioniert, damals noch von der Stadt Bern, eine aus heutiger Sicht seltsam regional anmutende Entscheidung. Damals verfügten wir über 100 Stellenprozente, die wir uns zu dritt teilten. Beim Aufbau der Beratungsstelle konnten wir uns auf die fachliche und politische Vorarbeit von- seit 1983 in Vereinsform ehrenamtlich engagierten- Frauen stützen. Der damalige Name, "Informations- und Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen", war Programm: neben der Beratung betroffener Frauen wollten wir einen Informationsauftrag haben, uns auf gesellschaftlich-politischer Ebene für die Rechte Betroffener und gegen sexuelle Gewalt einsetzen können. In diese erste Zeit fiel auch die Entwicklung des sogenannten "Berner Modells", einer interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Beratungsstelle, Familienplanungsstelle, Institut für Rechtsmedizin und Polizei. Diese zu etablieren, war nicht einfach, zumal sich die Interessen der Deliktverfolgung und diejenigen der Betroffenen in einigen Punkten widersprachen und die Beratungsstelle als feministisches Projekt unter dem Verdacht stand, Anzeigen eher zu verhindern als zu fördern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es den VertreterInnen der beteiligten Institutionen jedoch, das gegenseitige Vertrauen durch konkrete Erfahrungen der Zusammenarbeit und regelmässige Austauschtreffen zu stärken und das Berner Modell als gemeinsames Angebot für Betroffene in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. 
1993 trat das Opferhilfegesetz in Kraft, eine Chance, die wir Mitarbeiterinnen nutzten, um uns für den inhaltlichen und stellenmässigen Ausbau der Beratungsstelle einzusetzen. Diese erhielt dann auch die Anerkennung als kantonale Opferberatungsstelle, wurde neu vom Kanton subventioniert und mit 360 Stellenprozenten ausgestattet, was uns ein zusätzliches Beratungsangebot im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Mädchen ermöglichte. Wir liessen daraufhin schweren Herzens den Informationsauftrag im Stellennamen fallen und änderten diesen in "Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen und Mädchen". Soviel zu den ersten Jahren. In den darauf folgenden beschäftigte uns neben dem Beratungsalltag der personelle und inhaltiliche Ausbau, die damit verbundene neue Arbeitsteilung zwischen den Bereichen sexueller Gewalt im Erwachsenenalter und sexueller Ausbeutung in der Kindheit, die Zusammenarbeit zwischen alten und neuen Mitarbeiterinnen, die Auseinandersetzung mit Leitungsfragen, der Übergang von einem Team aus Frauen ohne mütterliche Aufgaben zu einem diesbezüglich gemischten Team und verschiedene Veränderungen im Bereich der Trägerorganisation, des Stiftungsrates Frauenhaus Bern. Kurz nach meinem Stellenwechsel fiel die Namenswahl auf den heute noch aktuellen Namen „Lantana, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt“.

Wofür setzten und setzen Sie sich ein? Warum?
Speziell setze ich mich mit sexeller Ausbeutung in Abhängigkeitsbeziehungen auseinander, der sexuellen Ausbeutung durch Fachpersonen wie Psychotherapeuten, Priester, Pfarrer, Lehrer, Ärzte und, weniger zahlreich, auch durch deren Berufskolleginnen. Ich begleitete Betroffene, setze mich mit Berufsverbänden und Institutionen auseinander, in denen die Täter arbeiteteten, gab Weiterbildungen zu diesem Thema und leistete Öffentlichkeitsarbeit. Warum ich mich dafür einsetzte? Weil mich Betroffene mit ihrer Erfahrung konfrontierten und ich einen Beitrag zu einer öffentlichen Diskussion und Hilfestellung leisten wollte, wie beispielsweise durch die Mitarbeit an der Broschüre "sexuelle Belästigung und sexuelle Ausbeutung am Arbeitsplatz Kirche". Zudem war es für mein eigenes Wohlergehen unentbehrlich, mich in meiner Arbeit im Bereich sexueller Gewalt gegen Frauen und Mächen neben der individuellen Begleitung auch auf gesellschaftlicher Ebene engagieren zu können. Dies aus politischen Gründen und um den in der Beratung häufig erlebten Gefühlen der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins die Erfahrung gegenüber zu stellen, etwas tun zu können- für Betroffene und zur Prävention sexueller Gewalt.     


Was bewegt Sie bei Ihrer Arbeit?
In der Begegnung mit von sexueller Gewalt betroffenen Frauen berührte und berührt mich immer wieder die Erschütterung, die sie während den sexuellen Übergriffen und auch später immer wieder erleben. Auch die in den Beratungen häufig gestellte Frage nach dem weshalb, dem Sinn der Tat hat mich bewegt; an und für sich, als Frage, und durch ihren Gegensatz zum in aller Regel fraglosen Vorgehen der Täter. Beeindruckt haben mich zudem die unterschiedlichen Wege der Verarbeitung und biographischen Integration des Geschehenen, die Betroffene für sich finden. 


Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Wichtig war für mich die, zu Beginn vor allem von Feministinnen getragene, öffentliche Diskussion sexueller Gewalt und Ausbeutung als eine Form der persönlichen und gesellschaftlichen Machtausübung, die am häufigsten von Männern gegenüber Frauen und Kindern angewandt wird. In der Folge entstanden konkrete Hilfsangebote und Veränderungen im Bereich der Opferhilfe und des Sexualstrafrechtes, wie beispielsweise die Anerkennung von Vergewaltigung in der Ehe als Delikt.  


Was sind wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Heute kann ich einzig allgemeine Anliegen nennen, wie Gleichstellung, Sensibilisierung durch Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung, Entwicklung einer Haltung des Hinschauens, Benennens, Stellung nehmens, ggf. auch Handelns. Für das Anstossen konkreter Schritte bin ich unterdessen in meinem beruflichen Alltag zu weit weg, um etwas beitragen zu können.  

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
In der langen Zeit meines beruflichen Engagements habe ich Einiges an Pionierinnenarbeit mitgetragen und dabei immer wieder viel von anderen gelernt. Ich denke dabei sowohl an Klientinnen, wie auch an Weiterbildungen (z. B. diejenigen von Rosemarie Steinhage zu sexueller Ausbeutung in der Kindheit), an Super- und Intervisionen und an die Zusammenarbeit mit PsychotherapeutInnen, AnwältInnen, RichterInnen und vor allem auch im Team. Beeindruckt haben mich all diejenigen, die Berührbarkeit und genaues Hinschauen in ihrer Arbeit immer wieder zusammenbringen und in deren Engagement ich Lebendigkeit und Humor spürte.

Dienstag, 6. Dezember 2011


Marianne Hammer ist Anwältin und führt seit über 20 Jahren eine eigene Praxis in Bern. In dieser Funktion vertrat sie in Gerichtsprozessen auch Frauen und Mädchen nach sexuellen Übergriffen. Ihr grosses Engagement gegen Gewalt an Frauen ist vielfältiger Natur. 

Marianne Hammer, in welcher Form haben Sie mit sexueller Gewalt zu tun?
Mein Einsatz gegen Gewalt an Frauen ging zusammen mit meiner Beteiligung an der neuen Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre. Wir lösten die „bürgerliche Frauenbewegung“ ab, die damals schon 50 Jahre oder mehr für ein Minimum an rechtlicher Gleichstellung gekämpft hatte.  Diese Themen unserer Mütter- auch meiner Mutter- waren: Weg von einer Quasi-Entmündigung während der Ehe, her mit politischen Rechten, Anprangerung der groben Diskriminierungen in der Arbeitswelt. Wir dagegen wandten uns neu unserem Körper zu, nannten Dinge ungeschont beim Namen, mit denen sich unsere Vorgängerinnen noch nicht befassen konnten: Abtreibung, sexuelle Unterdrückung und eben- Gewalt an den Frauen.

Wofür setzten Sie sich ein?
Beeindruckt von den ersten Frauenhäusern in London, Frankfurt und Zürich schloss sich eine grössere Gruppe von Frauen zusammen und erreichte bereits nach circa  vier Jahren die Gründung des Berner Frauenhauses. Später folgte eine Institution, an die sich Frauen als Opfer sexueller Gewalt wenden konnten, die Beratungsstelle zum Schutz sexuell missbrauchter Frauen und Mädchen. Gleichzeitig verankerten wir unser Werk und gründeten eine Stiftung gegen Gewalt an Frauen, die sich auch um die Subventionierung kümmerte. Wir bestückten den Stiftungsrat mit Politikerinnen, die mit uns solidarisch waren und nach aussen für unser Werk einstanden. Ich selber war lange Jahre ausführende Präsidentin des Stiftungsrates. Das Engagement war ein rein Politisches bei mir, eine Selbstverständlichkeit als Tochter meiner Mutter und Enkelin meiner Grossmutter.

Was bewegte Sie in Ihrer Arbeit?
Die Unterdrückung von Frauen machte mich wütend, verletzte mein Gerechtigkeitsgefühl. Ich fühlte mich verbunden mit den anderen Frauen ("Frauen gemeinsam..." lautete der Slogan) und wenn ihnen Unrecht geschah, fühlte ich mich auch betroffen. Diese Einschätzung blieb, nur verlagerte sich mein Engagement. Die Tochter wurde zur eigenständigen Frau. Ich begann mein Blickfeld zu erweitern. Die konkreten Menschen, mit denen ich zu tun hatte, begannen mich zu interessieren. So zog ich mich zum Beispiel aus der strafrechtlichen Opfervertretung zurück. Heute habe ich meinen Einfluss und mein Wirken einerseits in die konkreten Gestaltung von Konfliktlösungen verlagert. Das heisst, ich werde oft in Fällen beigezogen, wo Vermittlung möglich ist. Andererseits, wo das nicht geht,  führe ich eben auch Prozesse, aber zivilrechtliche. Im Familienrecht. Aber auch in verwandten Gebieten und im Arbeitsrecht.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Tatsächlich habe ich gerade im Bereich Gewalt in der Familie mit grossem Staunen mitbekommen, wie wir da voran gekommen sind. Auf einmal war es möglich, Anträge zu stellen, die man sich zu Beginn unserer Frauenhausarbeit nicht hätte erträumen können: Annäherungsverbote aussprechen zu lassen, kurzfristige Ausweisungen aus der Wohnung zu erreichen, et cetera. Es sah so aus, als ob ein Frauenhaus sich erübrigen würde.


Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Die Menschen ändern sich ja nicht so schnell. Es wird noch sehr lange entscheidend sein, dran zu bleiben am Gewaltproblem. Und zwar auf jeder Ebene. Gewalt und Missbrauch können auf sehr leisen Sohlen spazieren. Frauen ist zu wünschen, dass sie sich zunehmend ein Leben gestalten können, in dem kein Opfertum vorkommt. Das Gleiche gilt im umgekehrten Sinn für die Männer. Die Frauen müssen wachsam bleiben und zusehen, dass  die Schutzhilfen für die betroffenen Frauen nicht verwässert, sondern verbessert werden- Frauenhäuser braucht es noch.


Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Die islamischen Frauen zum Beispiel, die für die Verbesserung ihrer Situation sehr viel aufs Spiel setzen und doch ihr Selbstwertgefühl für ihre Kultur behalten. Oder andere mutige Frauen, in Brasilien zum Beispiel, die sich für die Erhaltung von Lebensraum einsetzen ohne sich von Gewaltübergriffen abschrecken zu lassen. Und eigentlich sind alle Vorbilder, die einen schweren Weg gegangen sind und am Schluss gelernt haben, sich selbst und andere zu achten.

Montag, 5. Dezember 2011


Muriel Kämpfen hat an der Universität Zürich Psychologie studiert und anschliessend diverse psychotherapeutische Aus- und Weiterbildungen durchlaufen.  Zunächst arbeitete sie als Kindertherapeutin in einem schultherapeutischen Dienst. 1981 eröffnete sie ihre eigene Praxis in Bern, in der sie seither als Psychotherapeutin tätig ist. 

Frau Kämpfen, wofür setzen Sie sich ein?
In der Psychotherapie helfe ich sexuell traumatisierten Frauen, ihre Erfahrungen  zu verarbeiten, Ängste abzubauen, wieder eine liebevolle Beziehung zu ihrem eigenen Körper zu entwickeln, sich abzugrenzen und eigene Interessen durchzusetzen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist, dass sich die betroffene Frau im therapeutischen Raum sicher und geschützt fühlt und erlebt, dass die Therapeutin die erlebte Geschichte der Klientin und deren Gefühle ernst nimmt und ihre Möglichkeiten und Grenzen respektiert. Ein weiteres Engagement für gewaltbetroffene Frauen war meine zehnjährige Tätigkeit als Stiftungsrätin in der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Diese Stiftung führt die Beratungsstellen Lantana in Bern und Vista in Thun sowie die zwei Frauenhäuser in diesen Städten. Die beiden Opferhilfestellen leisten und vermitteln Frauen und Mädchen, die von häuslicher und sexueller Gewalt betroffen sind, medizinische, psychologische, soziale, materielle und juristische Hilfe. Die Frauenhäuser bieten Frauen und Kindern, die häusliche Gewalt erfahren haben, Schutz, Unterkunft und Beratung.

Was bewegt Sie in ihrer Arbeit?
Ich habe unzählige Male erlebt, dass Frauen mit Hilfe einer therapeutischen Begleitung psychische und psychosomatische Probleme überwinden und eine für sie vorher kaum vorstellbare Lebensqualität gewinnen können. 1982 konsultierte mich eine junge Musikerin mit diversen psychosomatischen Problemen, die sie in ihrem Beruf stark behinderten. Im Laufe der therapeutischen Arbeit begegnete ich zum ersten Mal der Inzest-Thematik, wie man früher die sexuelle Ausbeutung nannte. Meine Klientin war von den schrecklichen Erinnerungen, Bildern und heftigen Gefühlen genauso überrumpelt wie ich. In meiner gesamten psychotherapeutischen Ausbildung war sexuelle Gewalt in der Kindheit nie Thema gewesen- die Ignoranz von uns Psychotherapeutinnen  kann man sich heute nur noch schwer vorstellen! Es gab ja auch nur wenig Literatur darüber. Und so habe ich mit dieser Klientin einen Weg gesucht durch das Labyrinth ihrer Vergangenheit. Einiges ist dadurch ans Licht, also ins Bewusstsein, gekommen und konnte verarbeitet werden, anderes ist dem Vergessen anheim geblieben. Trotzdem hat diese Frau eine für sie völlig neue Lebensqualität gefunden und ist ihre psychosomatischen Beschwerden losgeworden.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Im Vergleich zu den 80er Jahren wird das Thema sexuelle Gewalt in Familien, Ehe und Abhängigkeitsbeziehungen heute in allen Medien breit diskutiert, und es gibt mittlerweile viele niederschwellige Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige, die ausgezeichnete professionelle Arbeit leisten. Zudem ist die sexuelle Gewalt und deren Auswirkungen auf Frauen und Kinder Thema geworden in Ausbildungen von psychologischen und medizinischen Fachkräften. 1993 hat das Schweizer Volk das Opferhilfegesetz angenommen. Damit können Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt heute auch psychologische und rechtliche Hilfe beanspruchen.

Was sind für Sie Entwicklungen, die noch stattfinden müssen? 
Eine grosse Herausforderung für junge Frauen und Mädchen ist die Leichtigkeit, mit der übers Internet Kontakte, eben auch sexuelle, geknüpft werden können. Anonym angelockt können sie dadurch in äusserst gefährliche Situationen geraten. Es muss unbedingt mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit sich die jungen Frauen besser schützen lernen. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema? 
Vorbilder habe ich keine, aber eine grosse Hochachtung für alle Frauen, die sich mutig und unerschrocken ihrer eigenen Gewaltgeschichte stellen, auch wenn die Gefühle, die während dieser Auseinandersetzung hochkommen,  manchmal kaum zum Aushalten sind. An dieser Stelle möchte ich alle Frauen, die sexuelle Gewalt erlitten haben und unter den Folgen leiden, ermutigen, sich die Unterstützung einer Therapie zu suchen. Die erwähnten Opferberatungsstellen vermitteln Adressen von qualifizierten und mit dem Thema vertrauten PsychotherapeutInnen. 

Samstag, 3. Dezember 2011


Irene Pellet ist Polizistin und arbeitet bei der Regionalfahndung Bern. Sie ist ausgebildete Krankenschwester und absolvierte später die Grundausbildung bei der Polizei.
  
Frau Pellet, Sie  haben bei Ihrer Arbeit  mit sexueller Gewalt zu tun. Inwiefern?
Als Mitarbeiterin der Regionalfahndung habe ich seit über 20 Jahren im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder Verdachtsabklärungen häufig mit betroffenen Frauen und Mädchen zu tun. Konkret handelt es sich um Befragungen oder Einvernahmen, Begleitung zu Untersuchungen, Tatortbegehungen und so weiter. Die Kontakte finden nicht selten direkt nach dem Ereignis statt.

Wofür setzen Sie sich ein?
Präventionsarbeit war für mich schon vor 20 Jahren ein zentrales Thema und Anliegen. Es ging darum, den Frauen Informationen zu geben, welche entscheidend waren für ihr Verhalten bei einem Angriff auf die sexuelle Integrität. Damals herrschte die irrige Meinung, dass es gefährlich sei für Frauen, sich zur Wehr zu setzen. Diese Meinung war nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in Polizeikreisen verbreitet. Obwohl sich in Untersuchungen mehrfach gezeigt hat, dass durch das Wehrverhalten die Täterschaft oft nicht zu ihrem Ziel gekommen ist, hielt sich diese falsche Meinung hartnäckig. Durch Öffentlichkeitsarbeit und langjährige Lehrtätigkeit an der Polizeischule (Grundausbildung) war mir die Möglichkeit gegeben, dem entgegenzuwirken. Im Rahmen meiner Öffentlichkeitsarbeit thematisierte ich das Selbstbewusstsein der Frau, das Grenzen-setzen, „Nein“-sagen und  Widerstand leisten sowie die Abläufe bei der Anzeigeerstattung und der polizeilichen Einvernahme.  Ein besonderes Anliegen war es mir, den Frauen die Angst vor Polizei und Justiz zu nehmen. Nur bei erfolgter Anzeige konnte der Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Ohne Anzeige wurde er nicht behelligt, was einer Belohnung gleichkam. Und nebst all dem Juristischen und Formellen war mir die zwischenmenschliche Ebene immer ein zentrales Anliegen. Opfer und polizeiliche Sachbearbeiterin haben über eine längere Zeit intensiven Kontakt miteinander. Obwohl jegliches Handeln im Rahmen des Verfahrens zielgerichtet ist, ergeben sich nicht selten Gespräche ausserhalb der zu bearbeitenden Angelegenheit. Hier ist nicht primär kriminalistisches Denken und Handeln gefragt, sondern die zwischenmenschliche Ebene mit Empathie und Zeit zum Zuhören.

Was bewegt Sie bei Ihrer Arbeit?
Es bewegt mich, wenn ich Menschen in Endlos-Schlaufen sehe, Situationen, in denen es den Frauen nicht gelingt, auszusteigen, trotz wiederholter Versuche. Sie erleben Gewalt, bäumen sich auf, versuchen sich zu wehren, machen einen ersten Schritt, erstatten Anzeige - und ziehen dann alles zurück. Das Verfahren wird eingestellt und nach einiger Zeit beginnt der gleiche mühsame Weg von vorne, immer wieder, endlos… Es sind diese oder ähnliche Situationen, welche praktisch bei allen Involvierten ein starkes Gefühl der Ohnmacht zurücklassen. 
Zudem bewegen mich die Abgründe der virtuellen Welt.  Durch das Internet ist der Zugang zu verbotener Pornografie, also der Darstellung von sexuellen Handlungen mit Kindern, Tieren oder Gewalttätigkeiten, sehr einfach geworden, das Angebot ist immens. Sexuelle Devianz wird nicht mehr als solche wahrgenommen. Statt therapeutischer Massnahmen wird das Verhalten als normal empfunden, und die Phantasien werden frei ausgelebt. Zu Beginn mag der Konsum noch durch eine gewisse Hemmschwelle gebremst und eher punktuell sein. Um die entsprechende sexuelle Stimulation zu erzeugen, braucht es aber immer mehr und immer härtere Szenen. Diese sind oft unvorstellbar an Dekadenz und Abgrundlosigkeit!

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen war in früheren Zeiten stark geprägt von männlicher Wahrnehmung und Wertung. Dies war bei Polizei und Justiz nicht anders. Die bei betroffenen Frauen und Mädchen häufig vorhandenen Schuldgefühle wurden nicht selten verstärkt mit unsensiblen Fragestellungen. Zudem wurde das Opfer über Verfahrensverlauf und Procedere zu wenig informiert. Die Frauen standen nach der Befragung durch die Polizei oft „im luftleeren Raum“ und fühlten sich vollends alleingelassen.  Mit dem Berner Modell entstand eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, welche sich im Verlaufe der Jahre als optimal herausstellte. So nahm ich es jedenfalls wahr. Der Austausch von Erfahrung und Knowhow sowie die Tatsache, dass man sich persönlich kennt, waren eine enorme Bereicherung. Es gelang relativ rasch, gegenseitig vorhandene Vorurteile und Stereotype, zum Beispiel zwischen Polizei und Personen aus dem psychosozialen Bereich, abzubauen. Im Verlaufe der Jahre- später auch verstärkt durch das Opferhilfegesetz- wurde ein Vorgehen etabliert, welches eine sachliche und professionelle Fallbearbeitung von Straftaten gegen die sexuelle Integrität gewährleistete, wobei die  Persönlichkeitsrechte des Opfers auf allen Stufen des Verfahrens respektiert wurden.  Betroffene Frauen und Mädchen haben unter anderem das Recht, von weiblichen Personen befragt zu werden, ihre Aussagen und Anliegen werden ernst genommen. Sie erhalten sehr umfangreiche Informationen. Transparenz und Offenheit sind das A und O. Manchmal frage ich mich allerdings, ob den Betroffenen dabei nicht sogar zu viele Informationen zugemutet werden.  
Eine weitere wichtige Entwicklung betrifft die sexuelle Gewalt in der Ehe. Übergriffe durch den Ehemann wurden vor vielen Jahren marginal thematisiert. Vergewaltigung in der Ehe war ein Antragsdelikt, und es erfolgten selten Strafanzeigen. Erst als es zum Offizialdelikt wurde, änderte sich dies, und es kam vermehrt zu Anzeigen.

Was sind Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Eine Sensibilisierung der jungen Leute, auch männlichen Geschlechts! Es muss breite Präventions- und Aufklärungsarbeit, auch in den Schulen, bezüglich sexueller Gewalt im Zusammenhang  den neuen Medien, mit Internetforen und Natels geleistet werden. Der Verrohung junger Leute aufgrund häufigen Pornokonsums muss entgegengewirkt werden.

Wer war für Sie ein Vorbild zum Thema?
Es waren einzelne, sehr engagierte Frauen mit viel Pioniergeist und der notwendigen Hartnäckigkeit. Vorbild waren und sind für mich auch Personen, die bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik die Lebensfreude und den Humor nicht verlieren.  

Freitag, 2. Dezember 2011


Dr. med. Ursula Klopfstein ist Fachärztin für Rechtsmedizin und Schulärztin. Sie arbeitet heute beim Gesundheitsdienst der Stadt Bern.  Früher arbeitete sie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern und betreute dort Opfer sexueller Gewalt. Sie publizierte mehrere  Arbeiten zum Thema sexuelle und häusliche Gewalt. 

Frau Klopfstein, wofür setzten und setzen Sie sich ein? Was bewegte Sie bei Ihrer Arbeit?
Bei meiner jetzigen Tätigkeit setze ich mich für  Prävention bei Kindern und Jugendlichen ein. Für Kinder ist es wichtig, früh genug zu erfahren, wann sie „nein“ sagen dürfen, und dass das Geltung hat. 
In meiner Arbeit als Rechtsmedizinerin habe ich einen Weg beschritten, der sehr gut vorbereitet wurde von meiner Vorgängerin Sabina Binda und natürlich meinen Vorgesetzten Herrn Prof. Zollinger und Herrn Prof. Dirnhofer. Ihnen war die korrekte Untersuchung von Opfern sexueller und körperlicher Gewalt und die Interdisziplinarität  immer sehr wichtig, und sie haben das "Berner Modell"  vorangetrieben. Auch haben sie es möglich gemacht, dass ich von 2004 bis 2008 als Oberärztin für klinische Rechtsmedizin angestellt werden konnte. Das war einmalig in der Schweiz. In dieser Funktion durfte ich die drei Dimensionen: Evidence Based Praxis (Untersuchung, Spurensicherung, Beurteilung), Lehre und ein wenig Forschung weitertreiben. Ganz wichtig war für mich die starke Vernetzung mit den anderen involvierten Stellen, zum Beispiel in Form des Berner Modells. Diese Zusammenarbeit war immer sehr wertvoll und befruchtend, auch entlastend. Es ist belastend und unnötig, solche Fälle alleine untersuchen und beurteilen zu müssen. Wichtig war uns auch immer die Unabhängigkeit der Untersuchungsqualität von einer Strafanzeige. In der Lehre, gerade vor Juristen, legte ich Wert auf den Begriff der Einvernehmlichkeit. Es gilt zu überprüfen, ob ein „ja“ eines Mädchens, einer Frau wirklich einvernehmlich war oder unter Druck oder Drogen und Alkoholeinfluss zustande kam. Gerade in Zusammenhang mit sogenannten „Gang Bang“- Vorfällen wurde mir das wichtig. Auch heute fällt mir immer wieder auf, dass sich viele Jugendliche selbst immer noch nicht bewusst sind, wo die Grenzen einvernehmlicher sexueller Handlungen zu sexueller Gewalt sind.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben? Welche Entwicklungen müssen noch stattfinden?
Im rechtsmedizinischen Zusammenhang wurde mir die Bearbeitung des Themas Häusliche Gewalt zunehmend wichtig. Dabei geht es mir um eine professionelle Arbeitsweise, bei der beispielsweise Fakten nach „state oft the art“ auf standardisierte Weise erhoben werden, sowie eine interdisziplinäre und spezialisierte Zusammenarbeit. Bei meiner Arbeit in der Schule bemerke ich, dass die Eigenständigkeit und Eigenverantwortung der Jugendlichen  sicher gewachsen ist. Die meisten Jugendlichen sind selbstbewusster geworden.  Aber die Ernsthaftigkeit sexueller Übergriffe und sexueller  Gewalt muss präsenter sein. Sie sollte auch in jedem Fall zu Konsequenzen führen.

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Die Frauen, die Dominique Strauss-Kahn angezeigt haben. Sie haben die Gewalt nicht geduldet und hatten den Mut, zu ihren Rechten zu stehen!

Donnerstag, 1. Dezember 2011


Sabine Sequin ist Psychologin und arbeitet seit vielen Jahren im Berner Frauenhaus. Sie hat in dieser Zeit unzählige von häuslicher Gewalt betroffene Frauen betreut und begleitet. Viele der Frauen haben in ihrer Beziehung neben psychischer und physischer auch sexuelle Gewalt erlebt.   

Wofür setzen Sie sich ein?
Als Beraterin im Frauenhaus setze ich mich für Frauen  ein, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind und im Frauenhaus Hilfe suchen. Sexuelle Gewalt ist immer wieder ein Thema, jedoch nicht in jedem Fall.  Mein Ziel war und ist es, mit meiner Arbeit die gewaltbetroffenen Frauen auf ihrem Weg ein Stück weit zu begleiten, sie in ihrer Selbstbestimmung zu unterstützen, ihre Ressourcen zu fördern. 
Frauenfragen und insbesondere das Thema Gewalt gegen Frauen beschäftigen und berühren mich schon seit meiner Jugendzeit. Ich war selber kein Opfer, dieses Thema appellierte jedoch an meinen– damals noch etwas kindlichen- Gerechtigkeitssinn.  Ich habe mich immer in diesem Bereich engagiert und ich bin froh, dass ich meine Arbeit in diesem Feld  leisten kann. 

Was bewegt Sie in ihrer Arbeit?
Mich bewegt in meiner Arbeit, dass trotz viel Leid und Not Veränderungen möglich sind. Ich freue mich über die kleinen Schritte ebenso wie über grosse Entwicklungen. 

Was sind für sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
(Sexuelle) Gewalt gegen Frauen ist heute kein Tabuthema mehr und nicht mehr ausschliesslich Sache von Frauenorganisationen. Damit sich für die Betroffenen etwas ändert und diese Hilfe erhalten, braucht es ein Engagement verschiedener Instanzen und Personen.  Der Handlungsbedarf ist erkannt und entsprechende Gesetze und Angebote wurden geschaffen, um die Opfer zu unterstützen und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. Heute arbeiten Leute selbstverständlich zusammen, die sich vor Jahren noch mit Vorurteilen  und Argwohn begegnet sind. 

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen? 
Was unsere Arbeit anbelangt, nämlich die Beratung von Opfern häuslicher Gewalt, gibt es noch Verbesserungspotential bei den Angeboten für Täter. In einigen Fällen wären wir froh, wenn Männer offensiver angesprochen würden und wir mit einer Partnerorganisation zusammenarbeiten könnten, die in Kontakt mit dem Täter steht. Einerseits könnte dies kurzfristig deeskalierend wirken, anderseits gibt es oft Fragen, über welche ein Paar oder eine Familie kommunizieren muss oder will. Eine Begleitung auf beiden Seiten könnte diesen Prozess in einem geschützten Rahmen initiieren und steuern. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Ich habe kein Vorbild, weil es viele Personen gibt, die ihren Beitrag zur Verbesserung der Situation von Opfern von (sexueller) Gewalt geleistet haben. Besonders beeindrucken mich  Frauen, welche sich offen wehren gegen Gewalt oder einstehen für Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt. Frauen, die mit ihrem Handeln grosse persönliche Risiken auf sich nehmen in Gesellschaften, wo es nicht selbstverständlich ist, dass Opfer von (sexueller) Gewalt Rechte haben, Respekt und Hilfe verdienen.