Berner Modell

Das Berner Modell bei sexueller Gewalt 
Im Kanton Bern gibt es seit 25 Jahren ein gut vernetztes Angebot für Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Das „Berner Modell“ ist europaweit eines der ältesten interdisziplinären Modelle. Seit seinen Anfängen wurde es ständig weiter entwickelt. Ziel ist es, ein möglichst effizientes, professionelles Hilfsangebot bereitzustellen, welches der komplexen Situation einer von sexueller Gewalt betroffenen Frau Rechnung trägt und eine weitere Traumatisierung zu verhindern sucht. 


Prinzipien
Dem Berner Modell liegen folgende Prinzipien zu Grunde:

Betreuung von Frauen durch eine Frau: Auf der Ebene der Polizei, bei der gynäkologischen Untersuchung sowie der psychosozialen Beratung ist die Betreuung durch eine Frau gewährleistet, auch nachts.


Spurensicherung ohne Meldepflicht bei der Polizei: Sexualdelikte wie sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung sind in der Schweiz Offizialdelikte, was heisst, dass eine Strafverfolgung einsetzt, sobald die Behörden von einer Straftat Kenntnis erhalten. Ein polizeiliches und gerichtliches Verfahren kann für eine betroffene Frau eine grosse Belastung bedeuten und daher unter Umständen gegen ihr Interesse sein. Das Berner Modell ermöglicht es, dass eine Spurensicherung durch das gerichtsmedizinische Institut durchgeführt werden kann, ohne dass automatisch eine Meldung an die Polizei erfolgt. Eine betroffene Frau kann sich daher nach erfolgter Untersuchung in Ruhe eine Anzeigeerstattung überlegen und sich beraten lassen, ohne dabei etwas zu verpassen.


Interdisziplinäre Vernetzung: Polizei, Gynäkologie, Infektiologie, Rechtsmedizin und die Fachstellen der Opferhilfe bei sexueller Gewalt erarbeiten gemeinsam Strategien zu einer möglichst optimalen Betreuung einer betroffenen Frau. Dazu gehört es, eine Frau auf jeder Ebene über die anderen Ebenen zu informieren und den Zugang zu erleichtern sowie die Abläufe, an denen mehrere Disziplinen beteiligt sind, reibungslos zu gestalten.



Anlaufstellen 
Nach unmittelbar erlebter sexueller Gewalt sieht das „Berner Modell“ verschiedene Möglichkeiten vor:

Ausgangspunkt Frauenklinik: In der Frauenklinik wird eine Frau auf Wunsch auf Verletzungen, sexuell übertragbare Infektionen und Spuren des Täters untersucht. Für die Spurensicherung wird eine Ärztin (nur in Ausnahmefällen ein Arzt) des Institutes für Rechtsmedizin beigezogen. Es ist wichtig, dass sich eine Frau möglichst rasch, d.h. idealerweise in den ersten 72 Stunden nach der erlebten Gewalt, untersuchen lässt. Die Frau kann eine Notfallverhütung erhalten und Medikamente, die das Risiko einer Übertragung von HIV oder Hepatitis verringern. Die Ärztin informiert die Frau über weitere Hilfs- und Beratungsangebote sowie über die Möglichkeit und Bedeutung einer Anzeige bei der Polizei. Ist eine Krisenintervention angezeigt, leitet die Ärztin die erforderlichen Massnahmen ein. 


Ausgangspunkt Opferberatungsstelle: Im Kanton Bern sind die Opferberatungsstellen Biel, Lantana in Bern und Vista in Thun auf die Beratung von Frauen und Mädchen nach sexueller Gewalt spezialisiert. Diese Fachstellen bieten psychologische Beratung, informieren die Betroffene über ihre Möglichkeiten, über das Strafverfahren und über Vor- und Nachteile einer Anzeige und beraten und begleiten sie in ihrem weiteren Vorgehen. Die Opferberatungsstellen haben auch die Möglichkeit, im Rahmen des Opferhilfegesetztes finanzielle Hilfe zu leisten. 


Ausgangspunkt Polizei: Bei der Polizei kann die Frau von einer spezifisch ausgebildeten Kriminalbeamtin betreut werden. Diese erklärt ihr das weitere Vorgehen, informiert sie über die Opferberatungsstellen, nimmt ihre Anzeige entgegen und organisiert die medizinische Betreuung und Spurensicherung in der Frauenklinik. Mit der Involvierung der Polizei beginnt ein Strafverfahren, das durch die betroffene Frau nicht mehr abgebrochen werden kann.


Das Berner Modell ist ein Angebot für Frauen und Mädchen ab 14 Jahren. Für Kinder, männliche Jugendliche und Männer gibt es andere Angebote im Kanton Bern.


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