Montag, 25. November 2013

Aktion 16 Tage gegen Gewalt an Frauen 2013: Wanderposter

Zur diesjährigen Kampagne haben wir ein Poster entworfen, welches das Berner Modell bei sexueller Gewalt an Frauen vorstellt. Es wandert jeden Tag zu einer anderen Institution und macht dort an diesem Tag auf das Thema sexuelle Gewalt und das Beratungsangebot im Kanton Bern aufmerksam.


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Ziel

Effizientes, professionelles Hilfsangebot: Der komplexen Situation einer von sexueller Gewalt betroffenen Frau wird Rechnung getragen und eine weitere Traumatisierung verhindert. 

Prinzipien

Betreuung von Frauen durch eine Frau: Auf der Ebene der Polizei, der gynäkologischen und gerichts- medizinischen Untersuchung sowie der psychosozialen Beratung ist die Betreuung durch eine Frau gewährleistet, auch nachts. Spurensicherung ohne Meldepflicht bei der Polizei: Ein polizeiliches und gerichtliches Verfahren kann eine grosse Belastung bedeuten. Das Berner Modell ermöglicht eine Spurensicherung ohne automa- tische Meldung an die Polizei. Eine betroffene Frau kann sich nach erfolgter Untersuchung in Ruhe eine Anzeige überlegen und sich beraten lassen, ohne dabei etwas zu verpassen. Interdisziplinäre Vernetzung: Involvierte Institutionen, Fachstellen und Behörden erarbeiten gemeinsam Strategien zu einer möglichst optimalen Betreuung einer betroffenen Frau.

Anlaufstellen

Ausgangspunkt Frauenklinik: In der Frauenklinik wird eine Frau auf Wunsch auf Verletzungen, sexuell übertragbare Krankheiten und Spuren des Täters untersucht. Für die Spurensicherung wird das Institut für Rechtsmedizin beigezogen. Ideal ist, wenn die Untersuchung innerhalb der ersten 72 Stunden erfolgt. Die Frau kann eine Notfallverhütung erhalten und Medikamente, die das Risiko einer Übertragung von Krankheiten verringern. Die Ärztin informiert sie über weitere Hilfs- und Beratungsangebote.
Ausgangspunkt Opferberatungsstelle: Spezialisierte Stellen im Kanton Bern sind die Opferberatungs- stellen Biel, Lantana in Bern und Vista in Thun. Die Fachstellen bieten psychologische Beratung, informieren über Vor- und Nachteile einer Anzeige und begleiten in der Verarbeitung und im weiteren Vorgehen.
Ausgangspunkt Polizei: Bei der Polizei kann eine Frau von einer spezifisch ausgebildeten Kriminal- beamtin betreut werden. Diese nimmt ihre Anzeige entgegen und organisiert die Untersuchung und Spurensicherung in der Frauenklinik. Sie erklärt ihr das weitere Vorgehen und informiert sie über die Opferberatungsstellen. Mit der Anzeige beginnt ein Strafverfahren, das von der Frau nicht mehr zurückgezogen werden kann.

Hilfsangebot

Universitätsklinik für Frauenheilkunde Tel. 031 632 10 10 
Lantana, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt, Bern Tel. 031 313 14 00, Onlineberatung: www.lantana-bern.ch 
VISTA, Fachstelle Opferhilfe bei häuslicher und sexueller Gewalt, Thun Tel. 033 225 05 60 
Service d'Aide aux Victimes, Biel/Bienne Tel. 032 322 56 33 
Kantonspolizei Bern, Kontaktstelle für Frauen Tel. 031 332 77 77 (Telefonbeantworter, Polizistin ruft umgehend zurück)

Weitere Informationen im Internet: 

www. familienplanung.insel.ch



Standorte des Wanderposters

    • Mo 25.11.2013 Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Bern
    • Di 26.11.2013 Xenia, Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, Bern
    • Mi 27.11.2013 Familienplanung, Spitalzentrum, Biel
    • Do 28.11.2013 Beratungsstelle Opferhilfe, Biel
    • Fr 29.11.2013 Berner Fachhochschule, Fachbereich Gesundheit, Bern
    • Sa 30.11.2013 City Notfall, Bern
    • So 01.12.2013 Hirslanden Praxiszentrum am Bahnhof, Bern
    • Mo 02.12.2013 Lantana, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt, Bern
    • Di 03.12.2013 Wen-Do, Büro für Gewaltprävention und Beratung, Bern
    • Mi 04.12.2013 Berufsbildung BFF, Bern
    • Do 05.12.2013 Berner Gesundheit, Bern
    • Fr 06.12.2013 Kriseninterventionszentrum der UPD, Bern
    • abends Reitschule, Frauenraum, Bern
    • Sa 07.12.2013 Spital fmi, Interlaken
    • So 08.12.2013 Spital STS AG,Thun
    • Mo 09.12.2013 Centre de planning familial du Jura bernois, St. Imier
    • Di 10.12.2013 Kantonspolizei Bern, Prävention, Bern
    • abends WG Heimgarten, Wabern










Sara Schmid, Fachfrau Sexuelle Gesundheit

Sandra Schertenleib, Sozialarbeiterin

Dienstag, 5. November 2013

Wanderposter Berner Modell


Vom 25. November bis 10. Dezember 2013 wird es wieder heissen "16 Tage gegen Gewalt an
Frauen", in diesem Jahr mit dem Schwerpunkt sexuelle Gewalt.
Als Zuständige für Untersuchungen nach sexueller Gewalt im Rahmen des Berner Modells sind wir an diesem Schwerpunkt besonders interessiert.
Wir haben ein Poster entworfen, welches das Berner Modell vorstellt. Es wandert jeden Tag zu einer anderen Institution und macht dort an diesem Tag auf das Thema sexuelle Gewalt und das Beratungsangebot im Kanton Bern aufmerksam.
Am Samstag, den 23.11.2013 waren wir dem schlechten Wetter zum Trotz auf dem Bundesplatz bei der Auftaktveranstaltung der Kampagne mit einem Informationsstand vertreten.

Sara Schmid, Fachfrau Sexuelle Gesundheit
Sandra Schertenleib, Sozialarbeiterin








Samstag, 10. Dezember 2011


In diesem Blog wurden vom 25. November bis heute, 10. Dezember engagierte Frauen aus Bern porträtiert, die sich beruflich oder ehrenamtlich für Frauen einsetzen, die sexuelle Gewalt erlitten haben. Wir möchten an dieser Stelle den beteiligten Frauen für ihren Beitrag und das dahinterstehende Engagement danken! Das Ende der diesjährigen Kampagne ist nicht gleichzeitig das Ende unseres Blogs. Er ist eine Plattform, auf der viele spannende Beiträge zusammengekommen sind. Diese bleiben auch weiterhin einsehbar, und wir werden diese Plattform auch für zukünftige Aktionen nutzen. Zum Abschluss haben wir Christine Sieber um ein Fazit gebeten. 

Jenny Lütjens
Sandra Schertenleib
Bern, den 10.12.2011


„Das Vertrauen ist schneller verchachelt als wieder hergestellt" 

Nach dem Lesen dieser Portraits kommt eine angenehme Ruhe auf. Eine Ruhe, die aus der Gewissheit kommt: Frauen, die Gewalt, auch sexuelle Gewalt erfahren haben, werden im Kanton Bern mit Respekt und Sorgfalt behandelt. Sei es durch Therapeutinnen, Anwältinnen oder Ärztinnen, sei es seitens der Polizei, Rechtsmedizin oder Staatsanwaltschaft. Begriffe wie „Selbstbestimmung unterstützen“, „Ressourcen stärken“, „Zusammenarbeit optimieren“, „Sicherheit vermitteln“, „Vertrauen aufbauen“ scheinen für alle diese Frauen ein Grundlage ihres Engagements zu sein. „Menschlichkeit“ wird „vor Juristisches und Formelles“ gestellt. Als Vorbild wurden die Pionierinnen des Berner Modells angeführt mit ihrer Hartnäckigkeit, die sie in den Anfangszeiten an den Tag legen mussten, aber auch die Frauen auf der ganzen Welt, welche mit ihrem Einsatz gegen Gewalt grosse persönliche Risiken auf sich nehmen. Durchwegs setzen sich die interviewten Frauen dafür ein, gewaltbetroffenen Frauen eine sorgfältige, von Respekt und Professionalität geprägte Unterstützung zu ermöglichen. 
Zum Abschluss des Blogs „Spuren starker Frauen“ habe ich aus den Portraits dieser 13 Frauen ein paar Aussagen heraus gepickt. Jeder Schritt, der getan wird, hinterlässt eine Spur. Auf dass noch viele weitere Schritte auf dem Weg zu einer gerechten Welt geschehen!

„In diese erste Zeit fiel auch die Entwicklung des sogenannten ‚Berner Modells‘, einer interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Beratungsstelle, Familienplanungsstelle, Institut für Rechtsmedizin und Polizei. Diese zu etablieren, war nicht einfach, zumal sich die Interessen der Deliktverfolgung und diejenigen der Betroffenen in einigen Punkten widersprachen und die Beratungsstelle als feministisches Projekt unter dem Verdacht stand, Anzeigen eher zu verhindern als zu fördern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es den VertreterInnen der beteiligten Institutionen jedoch, das gegenseitige Vertrauen durch konkrete Erfahrungen der Zusammenarbeit und regelmässige Austauschtreffen zu stärken und das Berner Modell als gemeinsames Angebot für Betroffene in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.“ (Pia Thormann, Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, frühere Mitarbeiterin von Lantana)

„Sexuelle Gewalt an Frauen und Mädchen war in früheren Zeiten stark geprägt von männlicher Wahrnehmung und Wertung. Dies war bei Polizei und Justiz nicht anders. Die bei betroffenen Frauen und Mädchen häufig vorhandenen Schuldgefühle wurden nicht selten verstärkt mit unsensiblen Fragestellungen. (...)“ (Irene Pellet, Polizeibeamtin)

„Es muss dafür gesorgt werden, dass das bisher Erreichte konsolidiert und weiter entwickelt wird, auch wenn sich in den verschiedenen Institutionen personelle Wechsel ergeben. Wissen und Erfahrung dürfen nicht mit den Frauen der ersten Generation des Berner Modells in Pension gehen.“ (Beatrice Ritter, früher Untersuchungsrichterin, heute Staatsanwältin)

„Was unsere Arbeit anbelangt, nämlich die Beratung von Opfern häuslicher Gewalt, gibt es noch Verbesserungspotential bei den Angeboten für Täter. In einigen Fällen wären wir froh, wenn Männer offensiver angesprochen würden und wir mit einer Partnerorganisation zusammenarbeiten könnten, die in Kontakt mit dem Täter steht.“ (Sabine Sequin, Psychologin, Frauenhaus Bern)

„Aktuell arbeiten wir daran, die Untersuchung von Tatverdächtigen zu optimieren und die Ergebnisse infektiologischer Untersuchungen (zum Beispiel auf HIV) den die Frau behandelnden Ärzten zukommen zu lassen. Dies ist wichtig, damit betroffene Frauen bei negativem Ergebnis nicht unnötig lange eine medikamentöse Prophylaxe gegen HIV einnehmen müssen, da diese starke Nebenwirkungen hat und somit sehr belastend sein kann.“ (Corinna Schön, Oberärztin, Institut für Rechtsmedizin IRM)

„In der Lehre, gerade vor Juristen, legte ich Wert auf den Begriff der Einvernehmlichkeit. Es gilt zu überprüfen, ob ein ‚Ja‘ eines Mädchens, einer Frau wirklich einvernehmlich war oder unter Druck oder Drogen und Alkoholeinfluss zustande kam. Gerade im Zusammenhang mit sogenannten ‚Gang Bang‘-Vorfällen wurde mir das wichtig. Auch heute fällt mir immer wieder auf, dass sich viele Jugendliche selbst immer noch nicht bewusst sind, wo die Grenzen einvernehmlicher sexueller Handlungen sind.“ (Ursula Klopfstein, Fachärztin für Rechtsmedizin und Schulärztin)

„Eine wichtige Hilfe war es zum Beispiel, dem Opfer (von häuslicher Gewalt) eine Visitenkarte mitzugeben und die Möglichkeit aufzuzeigen, Dinge, die mündlich nicht gesagt werden konnten, in einem Brief abzufassen und nachzureichen.(...) Das Vertrauen ist schneller verchachelt als wieder hergestellt. (Christine Kobel, Polizeibeamtin, heute im Ruhestand)

„Die Menschen ändern sich ja nicht so schnell. Es wird noch sehr lange entscheidend sein, dran zu bleiben am Gewaltproblem. Und zwar auf jeder Ebene. Gewalt und Missbrauch können auf sehr leisen Sohlen spazieren.“ – „Die Unterdrückung von Frauen machte mich wütend, verletzte mein Gerechtigkeitsgefühl. Ich fühlte mich verbunden mit den anderen Frauen (...) und wenn ihnen Unrecht geschah, fühlte ich mich auch betroffen.“ (Marianne Hammer, Anwältin)

„Da sind zum Bespiel auch die vielen mutigen Frauen, die sich irgendwo in dieser Welt, trotz aussichtsloser, widrigster Umstände, trotz persönlicher Bedrohungen und oft beträchtlichem, persönlichem Risiko weiterhin laut und tatkräftig und fantasievoll gegen Gewalt und für ihr Recht auf sexuelle Gesundheit einsetzen.“ (Christa Spycher, Ärztin für psychosoziale Medizin, heute im Ruhestand)

„Mich bewegt es zu sehen, wie die Betroffenen durch eine solches Ereignis „einfach so“ den Boden unter den Füssen weggezogen bekommen. Ebenso die gelegentliche Unterschätzung der Auswirkung eines solchen Erlebnisses durch z.B. Arbeitgeber, Bekanntenkreis, Familie, Partner.“ (Cornelia Englmann, Fachärztin für Gynäkologie, Zentrum für Familienplanung Bern)

„Ich denke, dass die Verletzung der sexuellen Integrität eine der traumatischsten Erfahrungen ist, die einem Menschen widerfahren kann. Es ist mir ein grosses Anliegen, weibliche Betroffene bei der Bewältigung dieses Traumas zu unterstützen.“ (Ursula Stalder, Sozialarbeiterin und Systemtherapeutin, Lantana)

„Eine Vergewaltigung kann zu massiven Spätfolgen führen und das Leben in grossem Masse beeinträchtigen. Aus diesem Grund habe ich Zusatzausbildungen absolviert um das nötige Rüstzeug zu bekommen, solche Spätfolgen besser therapieren zu können.“ (Eelke Schmutz, Fachärztin Psychiatrie und Psychotherapie, heute im Ruhestand)

„In der Psychotherapie helfe ich sexuell traumatisierten Frauen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, Ängste abzubauen, wieder eine liebevolle Beziehung zu ihrem eigenen Körper zu entwickeln, sich abzugrenzen und eigene Interessen durchzusetzen.“ (Muriel Kämpfen, Psychologin/Psychotherapeutin)











Christine SIeber ist Beraterin und Sexualpädagogin in unserem Zentrum für Familienplanung.

Freitag, 9. Dezember 2011



Cornelia Englmann ist Fachärztin für Gynäkologie und arbeitet seit 2007 im Zentrum für Familienplanung, Verhütung und Schwangerschaftskonfliktberatung. In diesem Rahmen untersucht sie jährlich rund 30 Frauen nach sexueller Gewalt. 

Wofür setzen Sie sich ein?
Neben der direkten Betreuung von Opfern nach sexuellen Übergriffen ist es unsere Aufgabe, Abläufe ständig zu optimieren. Dazu gehört auch, das Berner Modell als Anlaufstelle nicht nur bei Ärzten und Ärztinnen bekannt zu machen, sondern auch bei Einrichtungen und in der Bevölkerung. Dieses kann durch Beteiligung an Kampagnen, wie es z.B. bei den Kampagnen 16 Tage gegen Gewalt in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist, sowie durch Vorträge, Flyer  und in der Arbeit mit Jugendlichen geschehen. In meinen Augen sollte für eine Betroffene die Schwelle, sich untersuchen zu lassen, so tief wie möglich sein, auch um Infektionen zu verhindern und körperliche Beschwerden zu lindern. Eine Untersuchung, der keine polizeiliche Anzeige vorausgehen muss, ist daher sehr wichtig. Um aber keine Zeit zu verlieren, ist eine gleichzeitige Spurensicherung für eine etwaige spätere Anzeige ein ideales Modell. Im Weiteren unterstütze ich die Idee, dass die  Betreuung und Untersuchung durch Frauen erfolgt.

Was bewegt Sie in Ihrer Arbeit?
Es bewegt mich, zu sehen, wie die Betroffenen durch eine solches Ereignis „einfach so“ den Boden unter den Füssen weggezogen bekommen. Ebenso die gelegentliche Unterschätzung der Auswirkung eines solchen Erlebnisses durch z.B. Arbeitgeber, Bekanntenkreis, Familie, Partner. 

Was sind wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Seit einigen Jahren gibt es eine enge Zusammenarbeit der einzelnen Disziplinen mit regelmässigem jährlichen Austausch im grossen Rahmen sowie im kleinen Rahmen mit einzelnen Institutionen alle zwei Monate oder nach Bedarf. Da sich die Ansprechpartner kennen, können Probleme auf dem kurzen Weg besprochen werden. Weiter konnte die Organisation rund um die Betreuung der Betroffenen verbessert und vereinfacht werden.

Was sind wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Das Modell muss stetig verbessert und angepasst werden. Schön wäre es, wenn man für psychiatrische Notfallsituationen Kollegen oder Kolleginnen aus der Psychiatrie für unser Projekt gewinnen könnte und dort Ansprechpartner für Fragen hätte. Sicherlich gibt es auch von Seiten der Strafverfolgung zur Untersuchung der Täter auf Erkrankungen, besonders im Hinblick auf die Betroffene, noch Ausbaumöglichkeiten. Hier liessen sich unnötige Therapien wie z.B. die HIV Prophylaxe mit verschiedenen Nebenwirkungen vermeiden. Ferner sähe ich in der vermehrten Aufklärung über Verlauf und Möglichkeiten bei einer Anzeige vor einer Anzeigeerstattung, Verbesserungspotential. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Als Vorbild gelten für mich all die Personen, die dieses Berner Modell ins Leben gerufen haben. Es war sicher nicht einfach, alle zu diesem Projekt zu begeistern und bestehende Meinungen und Vorgehensweisen zu verändern, vor allem die Möglichkeit zu schaffen, eine Untersuchung und Spurensicherung anzubieten ohne eine Anzeige vorher machen zu müssen. Dieses ist sicher auch dem Institut für Rechtsmedizin Bern zu verdanken. Des weiteren sind die Menschen ein Vorbild, die sich in anderen Ländern trotz Bedrohung ihres Lebens und das ihrer Familie für die Rechte und Betreuung von Vergewaltigungsopfern einsetzen. 

Donnerstag, 8. Dezember 2011


Beatrice Ritter ist seit 2011 eine der 24 Staatsanwätinnen und Staatsanwälte der Region Bern-Mittelland. Sie begann ihre Tätigkeit in der bernischen Justiz vor fast 15 Jahren, damals als Untersuchungsrichterin. In ihrer Funktion als Staatsanwältin ist sie unter vielem mehr für Verfahren bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellen Handlungen mit Kindern zuständig.       

Wofür setzen Sie sich ein?
Ich arbeite als Staatsanwältin in der Strafverfolgung, d.h. Strafverfahren wegen Delikten gegen die sexuelle Integrität sind daher nicht ein Engagement, sondern Teil meiner Arbeit. Die Arbeit der Staatsanwaltschaft beginnt in der Regel mit der Meldung einer strafbaren Handlung durch die Polizei. Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es dann - am Anfang eines Verfahrens in enger Zusammenarbeit mit der Polizei - abzuklären, was passiert ist. In Fällen sexueller Gewalt gehört dazu die Untersuchung des Opfers durch eine Ärztin der Rechtsmedizin, die Spurensicherung am Tatort durch die Spezialisten der Kantonspolizei und die Befragung des Opfers durch die Polizei. Aufgrund dieser ersten Erkenntnisse wird der Tatverdächtige ermittelt, befragt und in gewissen Fällen durch die Staatsanwaltschaft in Untersuchungshaft versetzt. Das Ziel einer strafrechtlichen Untersuchung ist es, abzuklären, ob sich der Anfangsverdacht bestätigt und in diesem Fall am Ende der Untersuchung beim zuständigen Gericht Anklage zu erheben.
Für Befragungen von Opfern sexueller Gewalt nehme ich mir genügend Zeit und informiere sie über den Ablauf des Verfahrens und die Opferhilfe. Ab und zu melde ich eine Frau auch direkt bei Lantana an, damit sie die notwendige Unterstützung erhalten kann. Oft kommen die Frauen aber auch bereits gut beraten und mit einer Anwältin zur Befragung. Mir scheint es auch wichtig, dass die erlebten sexuellen Uebergriffe direkt angesprochen werden. Meine Erfahrungen aus dem Berner Modell und meiner langjährigen Tätigkeit gebe ich auch in der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern weiter.

Was bewegt Sie in Ihrer Arbeit?
Die Folgen, die sexuelle Gewalt bei den Opfern hinterlassen kann.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Die Vernetzung der in der Opferhilfe und Strafverfolgung tätigen Institutionen, z.B. im Rahmen des Berner Modells. Hier werden den Opfern verschiedene Möglichkeiten zur Anzeige bzw. Vornahme der Spurensicherung angeboten. Im weiteren die Einführung des Opferhilfegesetzes und damit eine Verbesserung der Stellung von Opfern im Strafverfahren, in dessen Zentrum die beschuldigte Person steht. Die Rechte der Opfer sind - soweit diese direkt das Strafverfahren betreffen - seit dem 01.01.2011 in der eidgenössischen Strafprozessordnung geregelt. So können Frauen, die Opfer von Straftaten gegen die sexuelle Integrität wurden, verlangen, dass sie von einer Frau befragt werden, dass eine Gegenüberstellung mit dem Tatverdächtigen vermieden wird oder dass dem urteilenden Gericht mindestens eine Frau angehört. Ebenso dürfen Opfer die Aussagen zu Fragen verweigern, welche die Intimsphäre betreffen.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Es muss dafür gesorgt werden, dass das bisher Erreichte konsolidiert und weiter entwickelt wird, auch wenn sich in den verschiedenen Institutionen personelle Wechsel ergeben. Wissen und Erfahrung dürfen nicht mit den Frauen der ersten Generation des Berner Modells in Pension gehen. Zudem muss neuen Phänomenen sexueller Gewalt, insbesondere unter Jugendlichen, Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Im Rahmen des Berner Modells wird derzeit daran gearbeitet, dass Frauen, die nach  einer Vergewaltigung eine medikamentöse Prophylaxe gegen eine HIV-Infektion einnehmen müssen, diese nur solange einnehmen müssen, bis geklärt ist, ob der Tatverdächtige mit HIV infiziert ist. Dazu müssen verschiedene Abläufe optimiert werden. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Frauen, die sich ausserhalb von Europa in verschiedenen Hilfsprojekten für die Rechte von Frauen einsetzen, sich insbesondere auch für Opfer sexueller Gewalt und Ausbeutung engagieren.

Mittwoch, 7. Dezember 2011


Pia Thormann hat ihr Psychologiestudium in Bern absolviert. Sie machte eine Ausbildung in psychoanalytischer Psychotherapie am Psychoanalytischen Seminar in Bern. Sie arbeitet zu 50% als Fachpsychologin für Psychotherapie FSP in der Beratungsstelle der Berner Hochschulen und hat eine Privatpraxis als Psychotherapeutin.

Sie hatten und haben bei Ihrer Arbeit mit sexueller Gewalt zu tun. Inwiefern?
Ich arbeitete von 1990 bis 2001 als Beraterin im Team der Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen und Mädchen, welche heute Lantana heisst. In den ersten Jahren bauten wir diese Stelle auf. Neben der Beratungsarbeit leisteten wir Öffentlichkeitsarbeit und gaben Weiterbildungen, so z.B. für angehendende Gerichtspersonen. Wir vernetzten uns im Rahmen des Berner Modells mit der Familienplanungsstelle, mit der Polizei, dem Institut für Rechtsmedizin und ausserhalb mit gerichtlichen Behörden, PsychotherapeutInnen und AnwältInnen. Zudem teilten wir Mitarbeiterinnen uns während mehrerer Jahre in die Leitungsaufgaben, vertrat ich die Stelle in der Trägerschaft, an den nationalen Nottelefontreffen und den nationalen Vernetzungstreffen bezüglich sexueller Ausbeutung in Abhängigkeitsbeziehungen. Daneben war ich einige Jahre Mitglied der Kantonalen Frauenkommision und engagierte ich mich auf städtischer und nationaler (Limita) Ebene gegen sexuelle Ausbeutung in der Kindheit. Privat erarbeitete ich 1997 zusammen mit der Theologin Eva Südbeck-Baur im Auftrag des Dekanates Bern Stadt der römisch-katholischen Kirche ein Grundlagenpapier zu sexueller Ausbeutung in der Seelsorge. Ich habe in den 12 Jahren beruflicher Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt viel gelernt, sowohl in beraterisch-psychotherapeutischer Hinsicht, wie auch auf den Gebieten der Weiterbildung, Öffentlichkeitsarbeit und Organisationsentwicklung. Rückblickend gewann ich zudem den Eindruck, dass die Arbeit mit traumatisierten Menschen einen grossen Einfluss auf die Dynamik unseres Teams hatte. Wir brauchten einander, um diese auf die Dauer tragen und in der Form von Öffentlichkeitsarbeit einen Beitrag gegen sexuelle Gewalt leisten zu können. Wir waren gezwungen, Konflikte zu klären und entwickelten eine entsprechende Teamkultur.          
Im Rahmen meiner heutigen beruflichen Tätigkeiten an der Beratungsstelle der Berner Hochschulen und als Psychotherapeutin in privater Praxis sind Erfahrungen sexueller Gewalt weiterhin ein Thema, allerdings nicht mehr in derselben Ausschliesslichkeit wie früher.  Geblieben ist mir die Funktion als Ansprechperson bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz für Studierende der Berner Hochschulen. 
Die Jahre meiner Berufstätigkeit im Bereich der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen waren stark vom Aufbau und der Weiterentwicklung der Beratungsstelle geprägt, auf die ich hier kurz eingehen möchte. Ende 1989 wurde die Stelle erstmals subventioniert, damals noch von der Stadt Bern, eine aus heutiger Sicht seltsam regional anmutende Entscheidung. Damals verfügten wir über 100 Stellenprozente, die wir uns zu dritt teilten. Beim Aufbau der Beratungsstelle konnten wir uns auf die fachliche und politische Vorarbeit von- seit 1983 in Vereinsform ehrenamtlich engagierten- Frauen stützen. Der damalige Name, "Informations- und Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen", war Programm: neben der Beratung betroffener Frauen wollten wir einen Informationsauftrag haben, uns auf gesellschaftlich-politischer Ebene für die Rechte Betroffener und gegen sexuelle Gewalt einsetzen können. In diese erste Zeit fiel auch die Entwicklung des sogenannten "Berner Modells", einer interinstitutionellen Zusammenarbeit zwischen Beratungsstelle, Familienplanungsstelle, Institut für Rechtsmedizin und Polizei. Diese zu etablieren, war nicht einfach, zumal sich die Interessen der Deliktverfolgung und diejenigen der Betroffenen in einigen Punkten widersprachen und die Beratungsstelle als feministisches Projekt unter dem Verdacht stand, Anzeigen eher zu verhindern als zu fördern. Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es den VertreterInnen der beteiligten Institutionen jedoch, das gegenseitige Vertrauen durch konkrete Erfahrungen der Zusammenarbeit und regelmässige Austauschtreffen zu stärken und das Berner Modell als gemeinsames Angebot für Betroffene in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. 
1993 trat das Opferhilfegesetz in Kraft, eine Chance, die wir Mitarbeiterinnen nutzten, um uns für den inhaltlichen und stellenmässigen Ausbau der Beratungsstelle einzusetzen. Diese erhielt dann auch die Anerkennung als kantonale Opferberatungsstelle, wurde neu vom Kanton subventioniert und mit 360 Stellenprozenten ausgestattet, was uns ein zusätzliches Beratungsangebot im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Mädchen ermöglichte. Wir liessen daraufhin schweren Herzens den Informationsauftrag im Stellennamen fallen und änderten diesen in "Beratungsstelle für vergewaltigte Frauen und Mädchen". Soviel zu den ersten Jahren. In den darauf folgenden beschäftigte uns neben dem Beratungsalltag der personelle und inhaltiliche Ausbau, die damit verbundene neue Arbeitsteilung zwischen den Bereichen sexueller Gewalt im Erwachsenenalter und sexueller Ausbeutung in der Kindheit, die Zusammenarbeit zwischen alten und neuen Mitarbeiterinnen, die Auseinandersetzung mit Leitungsfragen, der Übergang von einem Team aus Frauen ohne mütterliche Aufgaben zu einem diesbezüglich gemischten Team und verschiedene Veränderungen im Bereich der Trägerorganisation, des Stiftungsrates Frauenhaus Bern. Kurz nach meinem Stellenwechsel fiel die Namenswahl auf den heute noch aktuellen Namen „Lantana, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt“.

Wofür setzten und setzen Sie sich ein? Warum?
Speziell setze ich mich mit sexeller Ausbeutung in Abhängigkeitsbeziehungen auseinander, der sexuellen Ausbeutung durch Fachpersonen wie Psychotherapeuten, Priester, Pfarrer, Lehrer, Ärzte und, weniger zahlreich, auch durch deren Berufskolleginnen. Ich begleitete Betroffene, setze mich mit Berufsverbänden und Institutionen auseinander, in denen die Täter arbeiteteten, gab Weiterbildungen zu diesem Thema und leistete Öffentlichkeitsarbeit. Warum ich mich dafür einsetzte? Weil mich Betroffene mit ihrer Erfahrung konfrontierten und ich einen Beitrag zu einer öffentlichen Diskussion und Hilfestellung leisten wollte, wie beispielsweise durch die Mitarbeit an der Broschüre "sexuelle Belästigung und sexuelle Ausbeutung am Arbeitsplatz Kirche". Zudem war es für mein eigenes Wohlergehen unentbehrlich, mich in meiner Arbeit im Bereich sexueller Gewalt gegen Frauen und Mächen neben der individuellen Begleitung auch auf gesellschaftlicher Ebene engagieren zu können. Dies aus politischen Gründen und um den in der Beratung häufig erlebten Gefühlen der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins die Erfahrung gegenüber zu stellen, etwas tun zu können- für Betroffene und zur Prävention sexueller Gewalt.     


Was bewegt Sie bei Ihrer Arbeit?
In der Begegnung mit von sexueller Gewalt betroffenen Frauen berührte und berührt mich immer wieder die Erschütterung, die sie während den sexuellen Übergriffen und auch später immer wieder erleben. Auch die in den Beratungen häufig gestellte Frage nach dem weshalb, dem Sinn der Tat hat mich bewegt; an und für sich, als Frage, und durch ihren Gegensatz zum in aller Regel fraglosen Vorgehen der Täter. Beeindruckt haben mich zudem die unterschiedlichen Wege der Verarbeitung und biographischen Integration des Geschehenen, die Betroffene für sich finden. 


Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Wichtig war für mich die, zu Beginn vor allem von Feministinnen getragene, öffentliche Diskussion sexueller Gewalt und Ausbeutung als eine Form der persönlichen und gesellschaftlichen Machtausübung, die am häufigsten von Männern gegenüber Frauen und Kindern angewandt wird. In der Folge entstanden konkrete Hilfsangebote und Veränderungen im Bereich der Opferhilfe und des Sexualstrafrechtes, wie beispielsweise die Anerkennung von Vergewaltigung in der Ehe als Delikt.  


Was sind wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Heute kann ich einzig allgemeine Anliegen nennen, wie Gleichstellung, Sensibilisierung durch Öffentlichkeitsarbeit und Weiterbildung, Entwicklung einer Haltung des Hinschauens, Benennens, Stellung nehmens, ggf. auch Handelns. Für das Anstossen konkreter Schritte bin ich unterdessen in meinem beruflichen Alltag zu weit weg, um etwas beitragen zu können.  

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
In der langen Zeit meines beruflichen Engagements habe ich Einiges an Pionierinnenarbeit mitgetragen und dabei immer wieder viel von anderen gelernt. Ich denke dabei sowohl an Klientinnen, wie auch an Weiterbildungen (z. B. diejenigen von Rosemarie Steinhage zu sexueller Ausbeutung in der Kindheit), an Super- und Intervisionen und an die Zusammenarbeit mit PsychotherapeutInnen, AnwältInnen, RichterInnen und vor allem auch im Team. Beeindruckt haben mich all diejenigen, die Berührbarkeit und genaues Hinschauen in ihrer Arbeit immer wieder zusammenbringen und in deren Engagement ich Lebendigkeit und Humor spürte.

Dienstag, 6. Dezember 2011


Marianne Hammer ist Anwältin und führt seit über 20 Jahren eine eigene Praxis in Bern. In dieser Funktion vertrat sie in Gerichtsprozessen auch Frauen und Mädchen nach sexuellen Übergriffen. Ihr grosses Engagement gegen Gewalt an Frauen ist vielfältiger Natur. 

Marianne Hammer, in welcher Form haben Sie mit sexueller Gewalt zu tun?
Mein Einsatz gegen Gewalt an Frauen ging zusammen mit meiner Beteiligung an der neuen Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre. Wir lösten die „bürgerliche Frauenbewegung“ ab, die damals schon 50 Jahre oder mehr für ein Minimum an rechtlicher Gleichstellung gekämpft hatte.  Diese Themen unserer Mütter- auch meiner Mutter- waren: Weg von einer Quasi-Entmündigung während der Ehe, her mit politischen Rechten, Anprangerung der groben Diskriminierungen in der Arbeitswelt. Wir dagegen wandten uns neu unserem Körper zu, nannten Dinge ungeschont beim Namen, mit denen sich unsere Vorgängerinnen noch nicht befassen konnten: Abtreibung, sexuelle Unterdrückung und eben- Gewalt an den Frauen.

Wofür setzten Sie sich ein?
Beeindruckt von den ersten Frauenhäusern in London, Frankfurt und Zürich schloss sich eine grössere Gruppe von Frauen zusammen und erreichte bereits nach circa  vier Jahren die Gründung des Berner Frauenhauses. Später folgte eine Institution, an die sich Frauen als Opfer sexueller Gewalt wenden konnten, die Beratungsstelle zum Schutz sexuell missbrauchter Frauen und Mädchen. Gleichzeitig verankerten wir unser Werk und gründeten eine Stiftung gegen Gewalt an Frauen, die sich auch um die Subventionierung kümmerte. Wir bestückten den Stiftungsrat mit Politikerinnen, die mit uns solidarisch waren und nach aussen für unser Werk einstanden. Ich selber war lange Jahre ausführende Präsidentin des Stiftungsrates. Das Engagement war ein rein Politisches bei mir, eine Selbstverständlichkeit als Tochter meiner Mutter und Enkelin meiner Grossmutter.

Was bewegte Sie in Ihrer Arbeit?
Die Unterdrückung von Frauen machte mich wütend, verletzte mein Gerechtigkeitsgefühl. Ich fühlte mich verbunden mit den anderen Frauen ("Frauen gemeinsam..." lautete der Slogan) und wenn ihnen Unrecht geschah, fühlte ich mich auch betroffen. Diese Einschätzung blieb, nur verlagerte sich mein Engagement. Die Tochter wurde zur eigenständigen Frau. Ich begann mein Blickfeld zu erweitern. Die konkreten Menschen, mit denen ich zu tun hatte, begannen mich zu interessieren. So zog ich mich zum Beispiel aus der strafrechtlichen Opfervertretung zurück. Heute habe ich meinen Einfluss und mein Wirken einerseits in die konkreten Gestaltung von Konfliktlösungen verlagert. Das heisst, ich werde oft in Fällen beigezogen, wo Vermittlung möglich ist. Andererseits, wo das nicht geht,  führe ich eben auch Prozesse, aber zivilrechtliche. Im Familienrecht. Aber auch in verwandten Gebieten und im Arbeitsrecht.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Tatsächlich habe ich gerade im Bereich Gewalt in der Familie mit grossem Staunen mitbekommen, wie wir da voran gekommen sind. Auf einmal war es möglich, Anträge zu stellen, die man sich zu Beginn unserer Frauenhausarbeit nicht hätte erträumen können: Annäherungsverbote aussprechen zu lassen, kurzfristige Ausweisungen aus der Wohnung zu erreichen, et cetera. Es sah so aus, als ob ein Frauenhaus sich erübrigen würde.


Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Die Menschen ändern sich ja nicht so schnell. Es wird noch sehr lange entscheidend sein, dran zu bleiben am Gewaltproblem. Und zwar auf jeder Ebene. Gewalt und Missbrauch können auf sehr leisen Sohlen spazieren. Frauen ist zu wünschen, dass sie sich zunehmend ein Leben gestalten können, in dem kein Opfertum vorkommt. Das Gleiche gilt im umgekehrten Sinn für die Männer. Die Frauen müssen wachsam bleiben und zusehen, dass  die Schutzhilfen für die betroffenen Frauen nicht verwässert, sondern verbessert werden- Frauenhäuser braucht es noch.


Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Die islamischen Frauen zum Beispiel, die für die Verbesserung ihrer Situation sehr viel aufs Spiel setzen und doch ihr Selbstwertgefühl für ihre Kultur behalten. Oder andere mutige Frauen, in Brasilien zum Beispiel, die sich für die Erhaltung von Lebensraum einsetzen ohne sich von Gewaltübergriffen abschrecken zu lassen. Und eigentlich sind alle Vorbilder, die einen schweren Weg gegangen sind und am Schluss gelernt haben, sich selbst und andere zu achten.