Dienstag, 6. Dezember 2011


Marianne Hammer ist Anwältin und führt seit über 20 Jahren eine eigene Praxis in Bern. In dieser Funktion vertrat sie in Gerichtsprozessen auch Frauen und Mädchen nach sexuellen Übergriffen. Ihr grosses Engagement gegen Gewalt an Frauen ist vielfältiger Natur. 

Marianne Hammer, in welcher Form haben Sie mit sexueller Gewalt zu tun?
Mein Einsatz gegen Gewalt an Frauen ging zusammen mit meiner Beteiligung an der neuen Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre. Wir lösten die „bürgerliche Frauenbewegung“ ab, die damals schon 50 Jahre oder mehr für ein Minimum an rechtlicher Gleichstellung gekämpft hatte.  Diese Themen unserer Mütter- auch meiner Mutter- waren: Weg von einer Quasi-Entmündigung während der Ehe, her mit politischen Rechten, Anprangerung der groben Diskriminierungen in der Arbeitswelt. Wir dagegen wandten uns neu unserem Körper zu, nannten Dinge ungeschont beim Namen, mit denen sich unsere Vorgängerinnen noch nicht befassen konnten: Abtreibung, sexuelle Unterdrückung und eben- Gewalt an den Frauen.

Wofür setzten Sie sich ein?
Beeindruckt von den ersten Frauenhäusern in London, Frankfurt und Zürich schloss sich eine grössere Gruppe von Frauen zusammen und erreichte bereits nach circa  vier Jahren die Gründung des Berner Frauenhauses. Später folgte eine Institution, an die sich Frauen als Opfer sexueller Gewalt wenden konnten, die Beratungsstelle zum Schutz sexuell missbrauchter Frauen und Mädchen. Gleichzeitig verankerten wir unser Werk und gründeten eine Stiftung gegen Gewalt an Frauen, die sich auch um die Subventionierung kümmerte. Wir bestückten den Stiftungsrat mit Politikerinnen, die mit uns solidarisch waren und nach aussen für unser Werk einstanden. Ich selber war lange Jahre ausführende Präsidentin des Stiftungsrates. Das Engagement war ein rein Politisches bei mir, eine Selbstverständlichkeit als Tochter meiner Mutter und Enkelin meiner Grossmutter.

Was bewegte Sie in Ihrer Arbeit?
Die Unterdrückung von Frauen machte mich wütend, verletzte mein Gerechtigkeitsgefühl. Ich fühlte mich verbunden mit den anderen Frauen ("Frauen gemeinsam..." lautete der Slogan) und wenn ihnen Unrecht geschah, fühlte ich mich auch betroffen. Diese Einschätzung blieb, nur verlagerte sich mein Engagement. Die Tochter wurde zur eigenständigen Frau. Ich begann mein Blickfeld zu erweitern. Die konkreten Menschen, mit denen ich zu tun hatte, begannen mich zu interessieren. So zog ich mich zum Beispiel aus der strafrechtlichen Opfervertretung zurück. Heute habe ich meinen Einfluss und mein Wirken einerseits in die konkreten Gestaltung von Konfliktlösungen verlagert. Das heisst, ich werde oft in Fällen beigezogen, wo Vermittlung möglich ist. Andererseits, wo das nicht geht,  führe ich eben auch Prozesse, aber zivilrechtliche. Im Familienrecht. Aber auch in verwandten Gebieten und im Arbeitsrecht.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Tatsächlich habe ich gerade im Bereich Gewalt in der Familie mit grossem Staunen mitbekommen, wie wir da voran gekommen sind. Auf einmal war es möglich, Anträge zu stellen, die man sich zu Beginn unserer Frauenhausarbeit nicht hätte erträumen können: Annäherungsverbote aussprechen zu lassen, kurzfristige Ausweisungen aus der Wohnung zu erreichen, et cetera. Es sah so aus, als ob ein Frauenhaus sich erübrigen würde.


Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Die Menschen ändern sich ja nicht so schnell. Es wird noch sehr lange entscheidend sein, dran zu bleiben am Gewaltproblem. Und zwar auf jeder Ebene. Gewalt und Missbrauch können auf sehr leisen Sohlen spazieren. Frauen ist zu wünschen, dass sie sich zunehmend ein Leben gestalten können, in dem kein Opfertum vorkommt. Das Gleiche gilt im umgekehrten Sinn für die Männer. Die Frauen müssen wachsam bleiben und zusehen, dass  die Schutzhilfen für die betroffenen Frauen nicht verwässert, sondern verbessert werden- Frauenhäuser braucht es noch.


Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Die islamischen Frauen zum Beispiel, die für die Verbesserung ihrer Situation sehr viel aufs Spiel setzen und doch ihr Selbstwertgefühl für ihre Kultur behalten. Oder andere mutige Frauen, in Brasilien zum Beispiel, die sich für die Erhaltung von Lebensraum einsetzen ohne sich von Gewaltübergriffen abschrecken zu lassen. Und eigentlich sind alle Vorbilder, die einen schweren Weg gegangen sind und am Schluss gelernt haben, sich selbst und andere zu achten.

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