Freitag, 25. November 2011




Dr. med Christa Spycher ist Ärztin für psycho-soziale Medizin und hat eine Ausbildung in Gruppentherapie. Sie arbeitete viele Jahre, zwischen 1970 und 1998, als Ärztin in Lateinamerika und von 1990 bis 1996 und 1999 bis 2005 im Zentrum für Familienplanung der Frauenklinik des Inselspitals, wo sie sich für das „Berner Modell“ bei sexueller Gewalt engagierte. 

Christa Spycher, Sie hatten bei Ihrer Arbeit immer wieder mit sexueller Gewalt zu tun. Inwiefern? 
In Lateinamerika arbeitete ich jeweils mit marginierten Gruppen in der Stadt, aber auch in sehr abgelegenen ländlichen Gegenden. Meine Tätigkeit betraf vor allem Aspekte der Basisgesundheit, Prävention und Ausbildung; vor allem mit Frauen. Die strukturelle Gewalt war omnipräsent. Die Rechte der Frau auf Selbstbestimmung und auf (sexuelle) Gesundheit mussten ein wesentliches Thema von Prävention und Ausbildung sein, wenn aus gesundheitlicher Perspektive ein Beitrag geleistet werden sollte zur Kommunalentwicklung. Als Ärztin in der Familienplanungsstelle war eine meiner Aufgaben die Untersuchung von Frauen nach erlittenem Sexualdelikt. Und von Seiten der Frauenklinik war ich an Auf- und Ausbau des "Berner Modells" beteiligt, einem institutionalisierten, interdisziplinären Kriseninterventionsmodell für Opfer sexueller Gewalt.

Wofür haben Sie sich eingesetzt, und in welchen Rahmen?  
Als Mitglied (und bis 2010 Präsidentin) der ExpertInnenvereinigung von PLANeS, der schweizerischen Stiftung für sexuelle und reproduktive Gesundheit, setzte ich mich speziell dafür ein, dass der Aspekt von Gewalt in der Diskussion um sexuelle und reproduktive Gesundheit immer wieder mit einbezogen wird. Im Rahmen von PLANeS konnte ich zudem ein Lehrmittel für Prävention von sexueller Gewalt im Migrationskontext herausgeben, das drei Fachfrauen aus dem Beratungs-, Präventions- und Migrationsbereich, Jael Bueno, Barbara Dahinden und Beatrice Güntert, für Lehrkräfte und Fachleute aus der Jugendarbeit erarbeitet haben. Dieses erschien in deutsch und einer französischen und italienischen Version unter dem Titel: "Mit mir nicht. Mit dir nicht." Ich habe mich mit Überzeugung und Engagement für das Berner Modell eingesetzt, als beteiligte Ärztin am Präsenzdienst in der Frauenklinik bei der Krisenintervention und Untersuchung von Opfern sexueller Gewalt, mit dem Ziel, die äusserst schwierige Situation des Opfers voll zu respektieren und so weit als möglich eine Retraumatisierung zu verhindern. Zudem habe ich an Ausbau und Optimierung der Zusammenarbeit der verschiedenen Akteurinnen mitgedacht und mich an Aus- und Weiterbildungen aktiv beteiligt. Wichtig war es auch sicherzustellen, dass eine gynäkologische und forensische Untersuchung des Opfers möglichst rasch nach dem Sexualdelikt erfolgen kann, auch wenn bei der Polizei noch keine Anzeige gemacht ist. Erst so ist es möglich, dass das Opfer sich- entsprechend beraten- eine Anzeige in Ruhe überlegen kann, ohne den Vorteil einer raschen Spurensicherung zu verlieren. 

Was hat Sie bei Ihrer Arbeit bewegt? 
Ganz wichtig war für mich, dass es in meinem Umfeld viele andere Fachpersonen gab, die sich mit viel Wissen und Können engagiert in die Zusammenarbeit und die Mitgestaltung einbrachten. 
Bewegt hat mich auch eine Hoffnung: dass es viele junge Menschen gibt, die sich mit ihrem Wissen und Können tatkräftig gegen Gewalt jeder Art, speziell auch gegen sexuelle Gewalt einsetzen. 

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben? 
Entscheidend für die Weiterentwicklung des Berner Modells, dieser opferzentrierten Zusammenarbeit, waren einerseits die grosse Motivation und Einsatzbereitschaft der Akteurinnen auf der operationellen Ebene und anderseits die klare und entschiedene Stützung durch die Entscheidungsträger der verschiedenen Institutionen (Stadt- bzw. Kantonspolizei, Frauenklinik, Rechtsmedizin, Fachstelle der Opferhilfe bei sexueller Gewalt Lantana, Frauenhaus, richterliche Instanzen). Eine spezielle Herausforderung, gerade auch angesichts der sehr unterschiedlichen institutionellen Betriebskulturen, bedeutete es, Berührungsängste und Rivalitäten abzubauen, Kritiken ernst zu nehmen, die verschiedenen professionellen Stärken gegenseitig zu schätzen und die eigenen Schwächen überwinden zu lernen. Die Rahmenbedingungen des Berner Modells sind zudem heute in wesentlichen Teilbereichen durch das Opferhilfegesetz unterlegt. 

Was sind wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen? 
Als Thema ist sexuelle Gewalt noch immer tabuisiert. Trotz engagierter Arbeit auf verschiedenen Ebenen sind weiterhin grosse Anstrengungen unumgänglich, sowohl im Umgang mit Opfern wie auch in der Prävention. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Vorbilder sind zum Beispiel die Berner Kriminalbeamtinnen, die trotz der offensichtlichen Mehrbelastung überzeugt waren von der Wichtigkeit ihres Frauenpikett- Dienstes im Rahmen des Berner Modells, sodass sie als Antwort auf eine Sparrunde mit der Verfügung der Abschaffung dieses Dienstes eigenmächtig beschlossen, weiterhin den Pikett zu fordern und zu leisten. 
Das sind zum Bespiel auch die vielen mutigen Frauen, die sich irgendwo in dieser Welt, trotz aussichtsloser, widrigster Umstände, trotz persönlicher Bedrohungen und oft beträchtlichem, persönlichem Risiko weiterhin laut und tatkräftig und fantasievoll gegen Gewalt und für ihr Recht auf sexuelle Gesundheit einsetzen. 
Und ausserdem: ich bin stolz auf all die Frauen, die gemeinsam dieses "Berner Modell- Vernetzte Hilfe bei sexueller Gewalt“ angedacht haben und vor nun 25 Jahren praktisch umzusetzen begannen. Im Umgang mit Opfern ist das sogenannte „Berner Modell“ europaweit eines der drei ältesten interdiszinlinären Angebote für Opfer sexueller Gewalt; es ist aber in der föderalistischen Schweiz auch heute noch nicht allgemein gefordert und umgesetzt. Es entspricht jedoch den Anforderungen, wie sie die WHO in ihren entsprechenden Guidelines 2003 für alle postuliert hat.

1 Kommentar:

  1. Schoen und alles, der Mann ist Mal wieder der Boese. Dies ist der Zeitgeist! Nein, wissen Sie eigentlich, dass wenn einenen Mann von seinem Weib geschlagen wird, dass ER zuerst ausgelacht wird und dann vom eigenen Haus gechassed wird? Wenn er mit Gewalt dann antwortet, weil er in einer schwachen Stunde der Ohnmacht ist dann in Ihr Sytem geriet? Die Frauen hauen genau gleich viel zu. Nur ist dies halt Tabu. Maenner können sich ja wehren, denken Sie? Aber nicht in dieser Schwuhlen um Männerfeindliche Gesellschaft. Schaut bitte das ganze an und nicht immer nur von einer Seite. Ich selber athletisch habe darunter gelitten, und habe nicht zugeschlagen. Alle, vor allem Frauen haben mich ausgelacht, deswegen erzählen dies die Maenner sehr selten. Und nuetzen tut es ja auch nichts, im Gegenteil. Frauen wollen Gewinner!!! Überlegt Mal darüber...

    AntwortenLöschen