Montag, 28. November 2011


Dr. med. Corinna Schön studierte Humanmedizin und arbeitet heute als Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern. Sie betreut Frauen nach sexueller Gewalt und ist dabei für die Spurensicherung beim Opfer und die Bearbeitung forensischer Fragestellungen zuständig.

Liebe Corinna Schön, Sie haben in Ihrer Arbeit  immer wieder mit sexueller Gewalt zu tun. Wofür setzen Sie sich ein?
Im Rahmen des Berner Modells setze ich mich für Frauen ein, die sexuelle Gewalt erlitten haben. Wir versuchen hierbei, die Untersuchungsabläufe zu optimieren und den betroffenen Frauen einen Rahmen zu bieten, in dem sie sich rechtsmedizinisch untersuchen lassen können und eine möglichst optimale und umfassende medizinische Betreuung erhalten. Abgesehen von der medizinischen Betreuung wird durch die Beteiligung der Rechtsmedizin bei der Untersuchung eine Spurensicherung und Dokumentation allfälliger Verletzungen gewährleistet, was im Fall eines Strafverfahrens von grosser Bedeutung sein kann. Zudem ist es auch wichtig, dass, sofern möglich, infektiologische Untersuchungen auf sexuell übertragbare Erkrankungen bei bekannten Tatverdächtigen veranlasst werden und die Frauen je nach Ergebnis entsprechend weiterbehandelt werden können. 
Ferner halte ich immer wieder Fortbildungen in Spitälern oder bei der Polizei. Gerade ausserhalb des Kantons Bern (Solothurn, Aargau), in welchen Konzepte wie das Berner Modell nicht existieren, ist es wichtig, die Gynäkologinnen entsprechend fortzubilden, da diese die Untersuchungen hier alleine, ohne Mithilfe der Rechtsmedizin, durchführen müssen.  

Was bewegt Sie bei Ihrer Arbeit?
Oft sind die Schicksale der betroffenen Frauen sehr bewegend, wobei hier sicher angemerkt werden muss, dass unser rechtsmedizinischer Alltag eigentlich fast nur aus schweren Schicksalen besteht! Bei lebenden Personen, die durch uns untersucht werden, können wir mit unserem Einsatz auch als nicht klinisch tätige Ärzte  etwas für die Betroffenen tun, auch wenn sie dies zum Zeitpunkt der Untersuchung manchmal nicht  erkennen, den Sinn hinterfragen und in seltenen Fällen eine Untersuchung sogar ablehnen.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Aktuell arbeiten wir daran, die Untersuchung von Tatverdächtigen zu optimieren und die Ergebnisse infektiologischer Untersuchungen (zum Beispiel auf HIV) den die Frau behandelnden Ärzten zukommen zu lassen. Dies ist wichtig, damit betroffene Frauen bei negativem Ergebnis nicht unnötig lange eine medikamentöse Prophylaxe gegen HIV einnehmen müssen, da diese starke Nebenwirkungen hat und somit sehr belastend sein kann. Leider ist dieses Vorgehen in Zusammenarbeit mit den Strafuntersuchungsbehörden nur in Fällen mit polizeilicher Anzeige und eben bekanntem Tatverdächtigen möglich.

Welche Entwicklungen würden Sie sich noch für die Zukunft wünschen?
Es wäre wünschenswert, dass möglichst in allen Kantonen Konzepte wie das Berner Modell verwirklicht werden könnten, um die fachmännische Betreuung betroffener Frauen auch aus rechtsmedizinischer Sicht zu gewährleisten. Dies ist aufgrund eines Mangels entsprechend ausgebildeter Personen aktuell leider nicht der Fall, so dass vielerorts betroffene Frauen wahrscheinlich nur unter medizinischen, jedoch nicht forensischen Gesichtspunkten untersucht und behandelt werden.

Wer war Ihnen in Ihrer Arbeit ein Vorbild?
Dr. med. Ursula Klopfstein. Sie war während meiner Ausbildungzeit meine Oberärztin, die sich sehr für die klinische Rechtsmedizin, also die Untersuchung lebender Personen nach erlittener Gewalt allgemein, und somit auch für das Berner Modell eingesetzt hat.

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