Zur Grundausbildung der pensionierten
Polizistin Christine Kobel gehört eine Handelsschule in Neuenburg
und eine Schalterlehre bei der PTT. Nach sechs Wanderjahren auf
verschiedenen Poststellen und 12 Jahren im Auskunfts- und Reisebüro
der SBB absolvierte sie die Polizeischule. Über 20 Jahre arbeitete
sie bei der Kripo der Stadtpolizei Bern. Davon die letzten 13 Jahre
im Rahmen Sittendezernat, allgemeine Stadtkriminalität und Rotlichtmilieu. Sie war in unzählige Fälle von häuslicher und
sexueller Gewalt gegen Kinder und Frauen involviert, war unter
anderem zuständig für Delikte innerhalb der Familie, Gewalt bei Schulkindern, sexuelle Verdachtssituationen und für die Umsetzung
vormundschaftlicher Entscheide. Die grosse Erfahrung, welche sie bei der
Polizei gesammelt hat, hilft ihr noch heute, herausfordernde
Alltagssituationen zu meistern.
Wofür setzten Sie sich ein?
Die Glaubwürdigkeit der Opfer
bestmöglich festzuhalten und Hilfe anzubieten. Es ist gerade bei Kindern und
Jugendlichen oder häufig auch per Zufall, zum Beispiel bei
Familienstreitigkeiten oder Nachtlärm, vorgekommen, dass bei den
Ermittlungen desolate Familienzustände angetroffen wurden. Durch die
Zusammenarbeit mit dem Jugendamt oder der Vormundschaftsbehörde
konnten viele Situationen von Kindern oder Jugendlichen verbessert
werden. Leider blieben viele Ausgänge auch unbefriedigend. Es wurde
zwar sehr deutlich, dass etwas nicht in Ordnung war, wurde aber nicht
fassbar. Eine wichtige Hilfe war es zum
Beispiel, dem Opfer eine Visitenkarte mitzugeben und die Möglichkeit
aufzuzeigen, Dinge, die mündlich nicht gesagt werden konnten, in
einem Brief abzufassen und nachzureichen. In solchen Fällen bestand
auch die Möglichkeit, die briefliche Aussage direkt an den
Untersuchungsrichter oder die Untersuchungsrichterin weiter zu
leiten, ohne das Opfer vorgängig nochmals zu befragen. Wertvoll war auch, dass Frauen in die
Frauenklinik gebracht werden konnten und gewährleistet war, dass
ihnen dort Hilfsangebote aufgezeigt wurden. Um die Glaubwürdigkeit der Opfer
festhalten zu können, war es wichtig, die Aussagen möglichst
wortgetreu auf Papier zu bringen, und auch das Auftreten, das
Verhalten und den Gefühlszustand des Opfers festzuhalten: Beispielsweise zu
dokumentieren, wenn eine Frau geweint hat, oder wenn es notwendig
war, eine Pause einzulegen, weil es sehr schwer fiel, eine Aussage zu
machen. Wichtig war auch, aufmerksam mit allfälligen
Bagatellisierungen umzugehen.
Was bewegte Sie in Ihrer Arbeit?
Zum einen die Hilflosigkeit mancher
ausländischer Frauen, welche Männern oder Clans ausgeliefert und
grosser Unterdrückung sowie extremer Kontrolle unterworfen sind, und
die mittels massiver Drohungen daran gehindert werden, sich zur Wehr
zu setzen. Da gab es zum Beispiel den Fall einer Jugendlichen, die aus dem 8.
Stock gesprungen ist, weil sie verheiratet werden sollte. Sie hat
überlebt und konnte Unterstützung finden. Sie hat ein grosses
Risiko auf sich genommen und konnte sich so zur Wehr setzen. Anderen
Frauen oder Mädchen gelingt das nicht.
Zum anderen bewegten mich die zunehmenden
Falschanzeigen angeblicher Opfer. Es gab Phasen, da waren bis zu 50%
der Anzeigen Falschanzeigen. In solchen Situationen wurden das
Engagement und die Motivation auf die Probe gestellt. Helfen konnte
dabei, sich die Not vor Augen zu führen, die- wie sich häufig
herausstellte- hinter einer Falschanzeige stehen konnte.
Was sind für Sie wichtige
Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Die Vernetzungen mit den zuständigen
Institutionen. Gegenseitiges Verständnis.
Dass nur Sachbearbeiter mit
entsprechendem Interesse an die Opfer gelassen werden. Das Vertrauen
ist schneller verchachelet als wieder hergestellt. Für diese Arbeit ist es wichtig, alle
Aussagen grundsätzlich ernst zu nehmen. Ein Opfer darf sich bei
einer Befragung nicht in Frage gestellt fühlen, auch wenn eine
Situation auf den ersten Blick eher unwahrscheinlich erscheint oder
das Opfer von früheren Anzeigen bereits bekannt ist. Es ist wichtig, dass Polizistinnen und
Polizisten, welche mit dieser Tätigkeit beginnen, sorgfältig
eingeführt und begleitet werden und sich auch frei entscheiden
können, ob sie weiter in diesem Bereich arbeiten wollen.
Neueinsteigende sollen sich bei Schwierigkeiten oder angstbehafteten
Situationen Unterstützung holen können, so dass es ihnen gelingt, Sicherheit zu vermitteln.
Wer ist für Sie ein Vorbild zu
diesem Thema?
Dr. Ursula Klopfstein,
Gerichtsmedizinerin. Ihre Professionalität, sie hat uns
Sachbearbeitern viel gelehrt, was wichtig ist bei Sexualdelikten.
Einmalig! Frau Klopfstein hat uns in regelmässig stattfindenden
Zusammenkünften sehr wertvolle Hinweise zur Spurensicherung gegeben.
Auch war ihre feinfühlige und sorgfältige Art, Opfer zu untersuchen, sehr beeindruckend.
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