Mittwoch, 30. November 2011


Zur Grundausbildung der pensionierten Polizistin Christine Kobel gehört eine Handelsschule in Neuenburg und eine Schalterlehre bei der PTT. Nach sechs Wanderjahren auf verschiedenen Poststellen und 12 Jahren im Auskunfts- und Reisebüro der SBB absolvierte sie die Polizeischule. Über 20 Jahre arbeitete sie bei der Kripo der Stadtpolizei Bern. Davon die letzten 13 Jahre im Rahmen Sittendezernat, allgemeine Stadtkriminalität und Rotlichtmilieu. Sie war in unzählige Fälle von häuslicher und sexueller Gewalt gegen Kinder und Frauen involviert, war unter anderem zuständig für Delikte innerhalb der Familie, Gewalt bei Schulkindern, sexuelle Verdachtssituationen und für die Umsetzung vormundschaftlicher Entscheide. Die grosse Erfahrung, welche sie bei der Polizei gesammelt hat, hilft ihr noch heute, herausfordernde Alltagssituationen zu meistern.

Wofür setzten Sie sich ein?
Die Glaubwürdigkeit der Opfer bestmöglich festzuhalten und Hilfe anzubieten. Es ist gerade bei Kindern und Jugendlichen oder häufig auch per Zufall, zum Beispiel bei Familienstreitigkeiten oder Nachtlärm,  vorgekommen, dass bei den Ermittlungen desolate Familienzustände angetroffen wurden. Durch die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt oder der Vormundschaftsbehörde konnten viele Situationen von Kindern oder Jugendlichen verbessert werden. Leider blieben viele Ausgänge auch unbefriedigend. Es wurde zwar sehr deutlich, dass etwas nicht in Ordnung war, wurde aber nicht fassbar. Eine wichtige Hilfe war es zum Beispiel, dem Opfer eine Visitenkarte mitzugeben und die Möglichkeit aufzuzeigen, Dinge, die mündlich nicht gesagt werden konnten, in einem Brief abzufassen und nachzureichen. In solchen Fällen bestand auch die Möglichkeit, die briefliche Aussage direkt an den Untersuchungsrichter oder die Untersuchungsrichterin weiter zu leiten, ohne das Opfer vorgängig nochmals zu befragen. Wertvoll war auch, dass Frauen in die Frauenklinik gebracht werden konnten und gewährleistet war, dass ihnen dort Hilfsangebote aufgezeigt wurden. Um die Glaubwürdigkeit der Opfer festhalten zu können, war es wichtig, die Aussagen möglichst wortgetreu auf Papier zu bringen, und auch das Auftreten, das Verhalten und den Gefühlszustand des Opfers festzuhalten: Beispielsweise zu dokumentieren, wenn eine Frau geweint hat, oder wenn es notwendig war, eine Pause einzulegen, weil es sehr schwer fiel, eine Aussage zu machen. Wichtig war auch, aufmerksam mit allfälligen Bagatellisierungen umzugehen.

Was bewegte Sie in Ihrer Arbeit?
Zum einen die Hilflosigkeit mancher ausländischer Frauen, welche Männern oder Clans ausgeliefert und grosser Unterdrückung sowie extremer Kontrolle unterworfen sind, und die mittels massiver Drohungen daran gehindert werden, sich zur Wehr zu setzen. Da gab es zum Beispiel den Fall einer Jugendlichen, die aus dem 8. Stock gesprungen ist, weil sie verheiratet werden sollte. Sie hat überlebt und konnte Unterstützung finden. Sie hat ein grosses Risiko auf sich genommen und konnte sich so zur Wehr setzen. Anderen Frauen oder Mädchen gelingt das nicht.
Zum anderen bewegten mich die zunehmenden Falschanzeigen angeblicher Opfer. Es gab Phasen, da waren bis zu 50% der Anzeigen Falschanzeigen. In solchen Situationen wurden das Engagement und die Motivation auf die Probe gestellt. Helfen konnte dabei, sich die Not vor Augen zu führen, die- wie sich häufig herausstellte- hinter einer Falschanzeige stehen konnte.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Die Vernetzungen mit den zuständigen Institutionen. Gegenseitiges Verständnis.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Dass nur Sachbearbeiter mit entsprechendem Interesse an die Opfer gelassen werden. Das Vertrauen ist schneller verchachelet als wieder hergestellt. Für diese Arbeit ist es wichtig, alle Aussagen grundsätzlich ernst zu nehmen. Ein Opfer darf sich bei einer Befragung nicht in Frage gestellt fühlen, auch wenn eine Situation auf den ersten Blick eher unwahrscheinlich erscheint oder das Opfer von früheren Anzeigen bereits bekannt ist. Es ist wichtig, dass Polizistinnen und Polizisten, welche mit dieser Tätigkeit beginnen, sorgfältig eingeführt und begleitet werden und sich auch frei entscheiden können, ob sie weiter in diesem Bereich arbeiten wollen. Neueinsteigende sollen sich bei Schwierigkeiten oder angstbehafteten Situationen Unterstützung holen können, so dass es ihnen gelingt, Sicherheit zu vermitteln.

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema?
Dr. Ursula Klopfstein, Gerichtsmedizinerin. Ihre Professionalität, sie hat uns Sachbearbeitern viel gelehrt, was wichtig ist bei Sexualdelikten. Einmalig! Frau Klopfstein hat uns in regelmässig stattfindenden Zusammenkünften sehr wertvolle Hinweise zur Spurensicherung gegeben. Auch war ihre feinfühlige und sorgfältige Art, Opfer zu untersuchen, sehr beeindruckend.


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