Samstag, 26. November 2011


Eelke Schmutz-de Jager absolvierte ihre Ausbildung als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Utrecht (NL), Berlin und Bern. Lange Jahre führte sie in Bern eine Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie für Jugendliche und Erwachsene und betreute viele Frauen und Mädchen, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Seit kurzem befindet sie sich im Ruhestand und freut sich über die Zeit, die sie ihrem Enkelkind widmen kann. 

Wofür setzten Sie sich ein?
Als ich von 1988 bis 1995 auf der Familienplanung arbeitete, untersuchte ich im Rahmen des „Berner Modells“ Frauen nach einer Vergewaltigung. Dies in Zusammenarbeit mit den ÄrztInnen des „Instituts für Rechtsmedizin“, welches  für die Spurensicherung verantwortlich war. Bald schon wurde mir bewusst, dass die Spurensicherung zwar für einen allfälligen Gerichtsprozess wichtig ist, aber dass eine Vergewaltigung zu massiven Spätfolgen führen kann und dass das Leben dieser Frauen dadurch in grossem Mass beeinträchtigt wird. Aus diesem Grund habe ich Zusatzausbildungen absolviert, um das nötige Rüstzeug zu bekommen, um solche Spätfolgen besser therapieren zu können. Eine solche Zusatzausbildung war das „Eye Movement Desensitization und Reprocessing (EMDR)“. Dies ist eine von Francine Shapiro in den USA entwickelte Behandlungsmethode für Trauma-Betroffene. Durch diese Methode ist es möglich, eine Integration des Erlebten zu erreichen und flash-backs wirksam zu therapieren. Als weitere hilfreiche Methode kann das EFT (Emotional Freedom Techniques) nach David Feinstein und Gary Craig genannt werden. Dies ist eine Klopftechnik der verschiedenen Akupressurpunkte. Sie hat den Vorteil, dass die Betroffenen selber zwischen den Sitzungen bestimmte Akupressurpunkte klopfen und dadurch ihre Anspannung reduzieren können. In meiner eigenen Praxis konnte ich das Gelernte anwenden. Für die Behandlung von Frauen nach erlebter sexueller Gewalt war mir wichtig:
  • Das Akzeptieren von Grenzen, die durch die Opfer signalisiert werden,
  • Das Erreichbar-Sein,
  • Vermeiden von Generalisierungen, welche die Erlebnisse der Frauen relativieren;
  • Die Frauen in dem, was sie erzählen ernst zu nehmen und bestätigen, dass das, was sie erlebt haben, wirklich sehr schlimm ist.
Ein Beispiel: Wenn ich mit der EMDR gearbeitet habe, kam es regelmässig vor, dass der zu erwartende Rückgang der allgemeinen Belastung stagniert hat. Ein Grund dafür konnte das Aufsteigen von Schuldgefühlen sein, wie zum Beispiel „ich wollte es doch auch“, speziell bei Inzestopfern. Hier habe ich versucht, eine Distanz zum eigenen Erleben zu schaffen, zum Beispiel durch die Frage: „Wenn die Tochter Ihrer besten Freundin das erlebt hätte, was Sie erlebt haben, würden Sie dann auch sagen, sie sei mit schuldig?“ Darauf kam immer die spontane Antwort: „Nein“. Dadurch wurden die eigenen Schuldgefühle aufgelöst. 
Sehr hilfreich war für mich auch das empfehlenswerte Buch von Richard Schwartz: Psychotherapie mit der inneren Familie.
Bei Situationen nach sexueller Gewalt habe ich in meiner Zeit als Therapeutin die Zusammenarbeit mit der Fachstelle Lantana und der Beratungsstelle „Opferhilfe“  sehr schätzen gelernt. 

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Eine wichtige Veränderung ist, dass Gewalt in der Ehe heute strafbar ist. 

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Für mich ist die Prävention sehr zentral. Der respektvolle Umgang zwischen Mann und Frau (Vorbildfunktion für die Kinder). Dazu gehört, dass vor allem Mädchen lernen können, ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Die Mädchen sollen lernen, Nein zu sagen, und sich selbst dabei auch ernst zu nehmen. Sie müssen die Erfahrung machen können– zum Beispiel in der Therapie- dass von ihnen gesetzte Grenzen auch respektiert werden und müssen ermutigt werden, das dann im alltäglichen Leben auch anzuwenden.  
Ein ungelöstes Problem sind die Gerichtsverhandlungen, bei denen oft Aussage gegen Aussage steht. Wenn dabei der mutmassliche Täter freigesprochen wird, kann das zu einer weiteren Traumatisierung der Frau führen. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema? 
Zu Vorbildern wurden für mich die betroffenen Frauen, von denen ich während der gemeinsamen Arbeit viel gelernt habe. Ich habe die Erlebnisse der betroffenen Frauen zwar selber nicht erlebt, aber ich habe durch die Therapien viele Geschichten kennen gelernt, die ich entfremden konnte und aus denen ich Lösungsangebote konstruiert habe, aus denen die Klientinnen für sich hilfreiche Strategien auswählen konnten. Ich habe sie ermutigt, nur das auszuwählen, was sie brauchen können und den Rest auf den Kompost zu werfen.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für die Einsicht in Ihre Arbeit. Ich hätte gerne noch viel mehr erfahren, allein schon um mir selbst zu helfen. Schön, dass es Sie mit Ihrer gänzlichen Arbeit gibt und schön, dass Sie uns zeigen. Herzliche Grüße Sophie & Co

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