Dienstag, 29. November 2011


Ursula Stalder ist Sozialarbeiterin und Systemtherapeutin. Seit 2006 ist sie als Beraterin bei der LANTANA, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt tätig. Bereits an ihrer früheren Arbeitsstelle als Erziehungsleiterin in der Viktoria-Stiftung in Richigen war sexuelle Gewalt ein präsentes Thema: Fast alle weiblichen Bewohnerinnen auf den einzelnen Gruppen waren in ihrem Leben mehr oder weniger von sexueller Gewalt betroffen. 

Wofür setzen Sie sich ein?
Ich denke, dass die Verletzung der sexuellen Integrität eine der traumatischsten Erfahrungen ist, die einem Menschen widerfahren kann. Es ist mir ein grosses Anliegen, weibliche Betroffene bei der Bewältigung dieses Traumas zu unterstützen. In meiner aktuellen Arbeitsstelle setze ich mich ein für die Umsetzung des Opferhilfegesetzes, für die Rechte der Betroffenen in unserer Gesellschaft, für die Umsetzung der Gleichstellung von Frau und Mann, für Frauenrechtsanliegen. 

Was bewegt Sie in ihrer Arbeit?
Die anwaltschaftliche Arbeit, das vielseitige Angebot der Opferhilfe, die Begleitung von Klientinnen, sie dabei zu unterstützen aus traumatischen Situationen heraus zu kommen, sie zu befähigen, ihre eigenen Ressourcen wieder zu finden, für sich zu nutzen und aktiv zu werden, miterleben zu dürfen, wie Klientinnen es schaffen, trotz manchmal schwierigster Prozesse, sich ihr eigenes Leben zurück zu erobern und das Trauma zu verarbeiten- all dies bewegt mich in meiner Arbeit.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Die Hemmschwelle, Beratung bei LANTANA zu beanspruchen, ist in den letzten Jahren gesunken (dies auch bei Fachpersonen). Im Justiz-Bereich (Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichte) hat die Sensibilisierung für das Thema sexuelle Gewalt zugenommen, die Bereitschaft, die betroffenen Frauen Ernst zu nehmen ist gestiegen. Das Thema sexuelle Gewalt wurde und wird zunehmend enttabuisiert, ein gesellschaftlicher Bewusstwerdungsprozess, eine allgemeine Sensibilisierung findet statt. Gründe für diese erfreuliche Entwicklung dürften sein: Öffentlichkeitsarbeit, Thematisierung in den Medien, offene Berichterstattung bei Strafprozessen, vielleicht auch mehr Solidarität unter Frauen über die Generationen hinweg.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die noch stattfinden müssen?
Öffentliche Gelder sollten noch vermehrt in der Prävention eingesetzt werden. Differenzierte, fundierte Informationen für alle Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes sind dringend nötig. Die konsequente Enttabuisierung gilt es voran zu treiben. In der Bevölkerung geistern viele Halbwahrheiten herum. Mit mehr Information wird das "wirkliche" Wissen gefördert, der Schutz aller Bevölkerungsschichten vor sexuellen Übergriffen wird erhöht.

Wer ist für Sie ein Vorbild?
Ein eigentliches Vorbild habe ich nicht. Meine Bewunderung und mein Respekt gelten aber jenen Frauen, die vor vielen Jahren damit begannen, trotz grosser Widerstände, das private Leid der Betroffenen von sexueller Gewalt öffentlich zu machen, die aus eigener Initiative Beratungsstellen aufbauten, die die Opfer nicht mehr alleine lassen wollten. 

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