Montag, 5. Dezember 2011


Muriel Kämpfen hat an der Universität Zürich Psychologie studiert und anschliessend diverse psychotherapeutische Aus- und Weiterbildungen durchlaufen.  Zunächst arbeitete sie als Kindertherapeutin in einem schultherapeutischen Dienst. 1981 eröffnete sie ihre eigene Praxis in Bern, in der sie seither als Psychotherapeutin tätig ist. 

Frau Kämpfen, wofür setzen Sie sich ein?
In der Psychotherapie helfe ich sexuell traumatisierten Frauen, ihre Erfahrungen  zu verarbeiten, Ängste abzubauen, wieder eine liebevolle Beziehung zu ihrem eigenen Körper zu entwickeln, sich abzugrenzen und eigene Interessen durchzusetzen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist, dass sich die betroffene Frau im therapeutischen Raum sicher und geschützt fühlt und erlebt, dass die Therapeutin die erlebte Geschichte der Klientin und deren Gefühle ernst nimmt und ihre Möglichkeiten und Grenzen respektiert. Ein weiteres Engagement für gewaltbetroffene Frauen war meine zehnjährige Tätigkeit als Stiftungsrätin in der Stiftung gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Diese Stiftung führt die Beratungsstellen Lantana in Bern und Vista in Thun sowie die zwei Frauenhäuser in diesen Städten. Die beiden Opferhilfestellen leisten und vermitteln Frauen und Mädchen, die von häuslicher und sexueller Gewalt betroffen sind, medizinische, psychologische, soziale, materielle und juristische Hilfe. Die Frauenhäuser bieten Frauen und Kindern, die häusliche Gewalt erfahren haben, Schutz, Unterkunft und Beratung.

Was bewegt Sie in ihrer Arbeit?
Ich habe unzählige Male erlebt, dass Frauen mit Hilfe einer therapeutischen Begleitung psychische und psychosomatische Probleme überwinden und eine für sie vorher kaum vorstellbare Lebensqualität gewinnen können. 1982 konsultierte mich eine junge Musikerin mit diversen psychosomatischen Problemen, die sie in ihrem Beruf stark behinderten. Im Laufe der therapeutischen Arbeit begegnete ich zum ersten Mal der Inzest-Thematik, wie man früher die sexuelle Ausbeutung nannte. Meine Klientin war von den schrecklichen Erinnerungen, Bildern und heftigen Gefühlen genauso überrumpelt wie ich. In meiner gesamten psychotherapeutischen Ausbildung war sexuelle Gewalt in der Kindheit nie Thema gewesen- die Ignoranz von uns Psychotherapeutinnen  kann man sich heute nur noch schwer vorstellen! Es gab ja auch nur wenig Literatur darüber. Und so habe ich mit dieser Klientin einen Weg gesucht durch das Labyrinth ihrer Vergangenheit. Einiges ist dadurch ans Licht, also ins Bewusstsein, gekommen und konnte verarbeitet werden, anderes ist dem Vergessen anheim geblieben. Trotzdem hat diese Frau eine für sie völlig neue Lebensqualität gefunden und ist ihre psychosomatischen Beschwerden losgeworden.

Was sind für Sie wichtige Entwicklungen, die stattgefunden haben?
Im Vergleich zu den 80er Jahren wird das Thema sexuelle Gewalt in Familien, Ehe und Abhängigkeitsbeziehungen heute in allen Medien breit diskutiert, und es gibt mittlerweile viele niederschwellige Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige, die ausgezeichnete professionelle Arbeit leisten. Zudem ist die sexuelle Gewalt und deren Auswirkungen auf Frauen und Kinder Thema geworden in Ausbildungen von psychologischen und medizinischen Fachkräften. 1993 hat das Schweizer Volk das Opferhilfegesetz angenommen. Damit können Opfer von sexueller und häuslicher Gewalt heute auch psychologische und rechtliche Hilfe beanspruchen.

Was sind für Sie Entwicklungen, die noch stattfinden müssen? 
Eine grosse Herausforderung für junge Frauen und Mädchen ist die Leichtigkeit, mit der übers Internet Kontakte, eben auch sexuelle, geknüpft werden können. Anonym angelockt können sie dadurch in äusserst gefährliche Situationen geraten. Es muss unbedingt mehr Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit sich die jungen Frauen besser schützen lernen. 

Wer ist für Sie ein Vorbild zu diesem Thema? 
Vorbilder habe ich keine, aber eine grosse Hochachtung für alle Frauen, die sich mutig und unerschrocken ihrer eigenen Gewaltgeschichte stellen, auch wenn die Gefühle, die während dieser Auseinandersetzung hochkommen,  manchmal kaum zum Aushalten sind. An dieser Stelle möchte ich alle Frauen, die sexuelle Gewalt erlitten haben und unter den Folgen leiden, ermutigen, sich die Unterstützung einer Therapie zu suchen. Die erwähnten Opferberatungsstellen vermitteln Adressen von qualifizierten und mit dem Thema vertrauten PsychotherapeutInnen. 

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